Das Sterben ist zum prominenten politischen Thema geworden - die Liberalisierung der Sterbehilfe und der Wunsch nach Selbstbestimmung auch im Tod liegen im Trend. Am Freitag hat auch Portugals Parlament mit großer Mehrheit Ja zur aktiven Sterbehilfe gesagt. Ausgerechnet ein weiteres tief katholisch geprägtes Land bricht ein lange unverrückbar scheinendes Tabu. Sehr zum Kummer von Papst Franziskus. Zuvor hatte im Juni 2021 auch Spanien aktive Sterbehilfe legalisiert.
Vorreiter waren die Niederlande. Als sie 2002 als erstes Land weltweit die aktive Sterbehilfe legalisierten, äußerten Kritiker Befürchtungen vor einer schleichenden Normalisierung bei der Tötung kranker und lebensmüder Menschen.
Der Trend ist seither eindeutig: Nicht nur, dass Belgien im selben Jahr nachzog und Luxemburg 2009 folgte. Auch innerhalb der Niederlande haben sich Grenzen verschoben. 2021 kamen 7.666 Menschen durch aktive Hilfe von Ärzten zu Tode. Das sind rund zehn Prozent mehr als 2020 und 4,5 Prozent aller Todesfälle.
Auch die Diagnosen haben sich ausgeweitet: So ist laut Gesetz aktive Sterbehilfe nur bei unheilbaren und unerträglichen Krankheiten zugelassen. Inzwischen akzeptieren Ärzte jedoch auch "Lebensmüdigkeit" und eine Vielzahl an Altersgebrechen als Grund. Seit 2005 dürfen auch missgebildete Neugeborene straffrei getötet werden. Laut einem Urteil des Obersten Gerichtshofs von 2020 ist die Tötung von schwer dementen Patienten sogar dann zulässig, wenn sie zuvor eine entsprechende Patientenverfügung formuliert haben, aber sich zum Zeitpunkt der geplanten Tötung gegen die Todesspritze wehren. Im April hat Den Haag einen weiteren Schritt angekündigt - eine Ausweitung der aktiven Sterbehilfe auf Kleinkinder.
Initiativen zur Liberalisierung der aktiven Sterbehilfe gibt es auch in Italien und Frankreich - jenseits europäischer Grenzen ist sie auch in Kanada und Neuseeland sowie in mehreren Bundesstaaten der USA erlaubt. In Italien ist aktive Sterbehilfe zwar weiterhin verboten. Das Verfassungsgericht aber hatte 2019 entschieden, dass es Ausnahmen geben kann: wenn ein Patient nicht mehr geheilt werden kann, er von lebenserhaltenden Maßnahmen abhängig ist, er körperlich und seelisch unerträgliche Schmerzen erfährt, aber noch voll in der Lage ist, freie Entscheidungen zu treffen.
In Frankreich hat Staatspräsident Emmanuel Macron eine Gesetzesinitiative zum Thema Lebensende auf den Weg gebracht. In den nächsten Monaten soll ein "französisches Modell" erarbeitet werden. Im April hatte ein "Bürgerkonvent" Forderungen dazu vorgelegt: darunter ein verbesserter Zugang zur Palliativversorgung sowie mehr Mittel für häusliche Pflege. Zudem sprachen sich die Delegierten mehrheitlich dafür aus, die Regeln zu aktiver Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid zu lockern.
Die Schweiz, Österreich und Deutschland gehen unterdessen einen anderen Weg - den der Suizidbeihilfe. In der Schweiz ist der assistierte Suizid seit langem weithin akzeptiert. Die Zahl steigt seit Jahren und liegt - nur bei Schweizer Bürgern - bei über 1.200 und bei rund 1,8 Prozent aller Sterbefälle. In Österreich können dauerhaft schwer oder unheilbar kranke Erwachsene seit vergangenem Jahr Beihilfe zum Suizid in Anspruch nehmen.
Deutschland hat nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020 einen ähnlichen Weg eingeschlagen. Die Karlsruher Richter haben den Suizid sogar als Ausdruck der Selbstbestimmung bezeichnet. Das Recht auf Beihilfe gilt in allen Lebensphasen, unabhängig von Alter oder Krankheit.
"Wir bewegen uns in die Richtung einer Liberalisierung der Sterbemöglichkeiten", schreibt der im niederländischen Nijmegen lehrende Philosoph und Theologe Jean Pierre Wils in seinem 2021 erschienenen Buch "Sich den Tod geben". Die Ursachen für diese Entwicklung liegen auf der Hand: Die westlichen Gesellschaften altern deutlich, Familienmuster haben sich geändert, moderne Apparatemedizin wird hinterfragt. Die Menschen haben einen wachsenden Anspruch auf Selbstbestimmung, die Bindungskraft von Glauben und Kirche haben nachgelassen. Das Argument, dass nur Gott das Leben beenden darf, scheint immer weniger plausibel.
Von Christoph Arens
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