„Wie stellt ein Staat sicher, dass seine Bürger keine andere Religion ausüben können als die, die er vorschreibt?", fragt die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) und gibt in ihrem aktuellen Report „China: Mosques Shuttered, Razed, Altered in Muslim Areas" selbst die Antwort: „Die chinesische Regierung hat eine Lösung: Schließung von Gotteshäusern". Genau dies passiert aktuell in mindestens zwei Provinzen Chinas mit hohem muslimischem Bevölkerungsanteil: Ningxia und Gansu.
Die kommunistische Führung kaschiert die faktische Beseitigung von Moscheen mit dem Euphemismus „Konsolidierung". Maya Wang, amtierende China-Direktorin von HRW formuliert das anders: „Die chinesische Regierung 'konsolidiert' Moscheen nicht, wie sie behauptet, sondern schließt viele unter Verletzung der Religionsfreiheit". „Die Schließung, Zerstörung und Umnutzung von Moscheen durch die chinesische Regierung ist Teil systematischen Bemühens, die Ausübung des Islams in China einzudämmen."
Ningxia ist ein Autonomes Gebiet im Nordwesten der Volksrepublik. Gansu umfasst Gebiete zwischen dem Hochland von Tibet und dem Plateau der Inneren Mongolei. Beide Provinzen haben nach dem autonomen Xinjiang als Heimat der muslimischen Uighuren die größte muslimische Bevölkerung in China. Ningxia und Gansu sind Lebensgebiet der offiziell als eigenständiges Volk anerkannten Hui, die in ihrer Kultur und viele auch in ihrem Aussehen den Han-Chinesen ähnlich sind - nur, dass sie eben statt an Buddha oder Marx an Allah glauben.
Seit Präsident Xi Jinping 2016 die „Sinisierung" der Religionen anordnete, wurde die staatliche Kontrolle über Religionsgemeinschaften verschärft. „Über die Kontrolle der Religion hinaus, indem sie diktieren, was 'normale' und damit legale religiöse Aktivitäten sind, versuchen die Behörden nun, die Religionen umfassend umzugestalten, um sie mit der Ideologie der Kommunistischen Partei Chinas in Einklang zu bringen und Loyalität gegenüber der Partei und Präsident Xi zu fördern", sagt HRW. Dies schließe die gesetzliche Vorschrift ein, dass Menschen nur in offiziell anerkannten Gotteshäusern offiziell anerkannter Religionen ihren Glauben praktizieren dürften.
Dieser „systematische" Verstoß gegen die Religionsfreiheit ist nicht auf Gebäude beschränkt. Ma Ju, ein in den USA lebender Hui-Muslim-Aktivist erklärt gegenüber HRW, es gehe um die Umerziehung gläubiger Muslime zu loyalen KP-Genossen. „Regierungsbeamte wenden sich zunächst an die Mitglieder der Kommunistischen Partei, die auch Hui-Muslime sind ... Dann 'überzeugen' sie Studenten und Regierungsmitarbeiter mit der Drohung des Ausschlusses aus Schulen oder Arbeitslosigkeit, wenn sie ihrem Glauben treu bleiben", sagt Ma Ju.
Von der harschen Sinisierung sind sämtliche Religionen der Volksrepublik betroffen. Die Uiguren in der Provinz Xinjiang sind seit langem im Visier der Kommunisten. Auf Basis von Satellitendaten schätzt das „Australian Strategic Policy Institute" (ASPI) die Zahl zerstörter oder beschädigter Moscheen in Xinjiang auf 16.000 oder 65 Prozent aller islamischen Gotteshäuser.
Der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung verlangte erst in diesem Monat von China die sofortige Untersuchung mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen gegen Uiguren in Xinjiang. Die Rede ist von Folter, Misshandlung, sexueller Gewalt, Zwangsarbeit, Verschwindenlassen und Tod in Gewahrsam.
In Tibet verfolgt China eine Sinisierung seit der Annektierung in den 1950er Jahren. Seit 2022 üben chinesische Behörden zunehmend Druck auf buddhistische Mönche in Tibet aus, sich komplett vom Dalai Lama als ihrem höchsten spirituellen Führer loszusagen.
Der amtierende Dalai Lama wurde in diesem Jahr 88 Jahre und mit seinem Alter stellt sich die Nachfolgefrage. In der Tradition des tibetischen Buddhismus wird der Dalai Lama nach seinem Tod als Kind wiedergeboren, das von hochrangigen Lamas unter Leitung des vom Panchen Lama geleiteten Rats der Lama gefunden wird. Die KPCh nimmt aber für sich in Anspruch, den nächsten Dalai Lama zu bestimmen und hat dafür schon vor Jahren mit der Ernennung eines "Fake"-Panchen Lama die Grundlage gelegt. Der vom Dalai Lama gewählte Panchen Lama wurde von den chinesischen Behörden entführt. Sein Aufenthaltsort ist seitdem unbekannt.
Die Sinisierung erfasst auch die chinesischen Christen. Bekannt ist der Dauerstreit über das inzwischen zweimal verlängerte Geheimabkommen zwischen dem Vatikan und China über die Ernennung von Bischöfen. Weniger schlagzeilenträchtig ist die „Konsolidierung" von Kirchen. Seit 2014 lassen die Behörden der Provinz Zhejiang Kreuze von Kirchen abreißen.
Laut der US-Menschenrechtsorganisation ChinaAid waren bis 2018 mehr als 1.500 Kirchen von solchen Aktionen betroffen. Im vergangenen Sommer seien in Zhejiang, das als Kernland des chinesischen Christentums den Beinamen "Jerusalem des Ostens" trägt, die Kreuzabrisse wieder aufgenommen worden.
Wie viele Moscheen bereits in Ningxia und Gansu zerstört wurden, konnte HRW selbst nicht ermitteln. Aber laut einem noch unveröffentlichten Bericht der beiden Hui-Muslime Hannah Theaker und David Stroup, so HRW, wurden seit 2020 schätzungsweise bereits ein Drittel der 4.203 Moscheen (Stand 2014) „konsolidiert".
Von Michael Lenz
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