Der Satz, dass der Islam zu Deutschland gehöre, brachte dem damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff teils gehörige Kritik ein. Was Wulff nicht davon abhielt, sich weiterhin für ein besseres Miteinander der säkular-christlichen Mehrheitsgesellschaft und den in der Bundesrepublik lebenden Muslimen einzusetzen. Von daher war die erste Abschlussfeier einer rein deutschsprachigen Imam-Ausbildung am vergangenen Samstag sozusagen ein Herzens-Pflichttermin. Zumal in Wulffs Heimatstadt Osnabrück.
Dort gibt es seit 2019 das Islamkolleg Deutschland (IKD), das diesen Ausbildungsgang zum Imam erstmalig anbot. Mehr als zwei Jahre nach dem Start erhielten die ersten 26 Absolventinnen und Absolventen ihre Zertifikate. An der Abschlussfeier nahm neben Wulff auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, teil. Wulff sprach von einem historischen Tag. "Das erste Mal werden Imame ihre Ausbildung in Deutschland in deutscher Sprache abschließen." Das sei längst überfällig.
Rund zehn Jahre länger, als es das Islamkolleg gibt, bietet die Universität Osnabrück Angebote in islamischer Theologie. Nach ersten Projekten zu islamischer Religionspädagogik wurde 2008 das Zentrum für Interkulturelle Islamstudien gegründet. Dieses wurde im Oktober 2012 mit der offiziellen Einrichtung des Instituts für Islamische Theologie aufgelöst; das Institut übernahm Aktivitäten und Personal des Zentrums. Leiter des Instituts wie auch Gründungsdirektor des Islamkollegs ist der Osnabrücker islamische Theologe Bülent Ucar.
Seitdem war dort ein von bekenntnisneutraler Islamwissenschaft abgegrenztes bekenntnisorientiertes Studium der Islamischen Theologie möglich. Ähnlich wie an evangelisch- und katholisch-theologischen Fakultäten deutscher Universitäten. Das Institut für Islamische Theologie an der Osnabrücker Uni ist mit sieben Professuren ausgestattet und in seiner Ausgestaltung die bislang größte Einrichtung dieser Art in Deutschland.
Das Islamkolleg Deutschland wird finanziert vom Bundesinnenministerium und dem Land Niedersachsen. Ein Kuratorium unter Vorsitz von Wulff und einem wissenschaftlichen Beirat begleitet das Kolleg fachlich. Ihm gehören neben islamischen auch christliche und jüdische Theologen und Wissenschaftler an.
Zum Curriculum der zweijährigen ausschließlich deutschsprachigen Imam-Ausbildung gehören Predigtlehre, Seelsorge, politische Bildung, Soziale Arbeit, Gemeindepädagogik, gottesdienstliche Praktiken und Koranrezitation. Insofern ist die Imam-Ausbildung am IKD der Ausbildung in christlichen Priester- oder Predigerseminaren vergleichbar. Absolventen können dann den Beruf des Imam ausüben. Wer bereits als Imam tätig ist oder schon in der islamischen Seelsorge arbeitet, kann einzelne Module des Imam-Curriculums belegen.
Im Januar bereits hatten am Osnabrücker Islamkolleg je elf Frauen und Männer ihre Ausbildung im ersten bundesweiten muslimischen Seelsorgekurs abgeschlossen. Bei einer Feierstunde am Samstag erhielten sie ihre Zertifikate. Gleichzeitig mit dem Abschluss des ersten Kursus begann ein neuer mit 32 Teilnehmern.
Die berufsbegleitende Ausbildung in muslimischer Seelsorge dauert ein gutes Jahr. Schwerpunkte sind Krankenhaus-, Gefängnis-, Notfall- und Militärseelsorge sowie Hospizarbeit. Die Absolventen sind meist ehrenamtlich, seltener mit Honorarverträgen tätig. Auch wenn Imame und Moscheegemeinden seit langem schon Menschen beraten und begleiten, sei auch in traditionell islamischen Ländern erst in jüngster Zeit eine eigenständige Seelsorge-Ausbildung entstanden, erklärte Cengiz Ayar vom IKD.
Die Ausbildung am IKD lehnt sich an die Ausbildungsstandards der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie an. Geleitet werden die Kurseinheiten teilweise von muslimischen und christlichen Seelsorgern. Christliche und muslimische Seelsorge hätten vieles gemeinsam, so Bernhard Kellner, einer der Kursleiter. Auch wenn seelsorgliche Begleitung vom jeweiligen Gottes- und Menschenbild geprägt sei, spielten auch viele nicht genuin religiöse Faktoren eine wichtige Rolle.
Das vollständige Zitat Wulffs bei seiner Rede am 3. Oktober 1990 zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit lautete übrigens: "Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland." Wulff war allerdings nicht der erste, der dies sagte. 2006 hatte Innenminister Wolfgang Schäuble zur Eröffnung der ersten Islamkonferenz formuliert: "Der Islam ist Teil Deutschlands und Europas."
Von Roland Juchem
© KNA. Alle Rechte vorbehalten.