Kamala Harris hat mehrere Lieblingsstellen in der Bibel. Eine davon steht im Buch des Propheten Micha, der in einem Satz zusammenfasst, was gottgefälliges Leben ausmacht: „Nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott." Der langjährige Pastor der Third Baptist Church in San Francisco, Amos Brown, erinnerte Harris daran, als sie nach der Nominierung zur Präsidentschafts-Kandidatin mit ihm sprach. Er ist seit langer Zeit ihr spiritueller Begleiter.
Der ehemalige Student Martin Luther Kings am Morehouse College gab ihr eine zeitgenössische Interpretation mit auf den Weg zum Parteitag in Chicago, bei dem er selbst am Donnerstag ein Gebet sprechen wollte. „Übe Gerechtigkeit, liebe die Barmherzigkeit und gehe bescheiden, mit deinem Schöpfer an der Seite." Amerika könne dies gut gebrauchen. Es gebe zu viel Arroganz und Egozentrismus, so der Geistliche.
Offenbar ließ sich die neue Frontfrau der Demokraten davon inspirieren. Ihre Rede zur Eröffnung des aktuellen Parteitreffens klang fast wie eine Predigt. „Getragen von der Liebe zu unserem Land, wissend, dass wir mehr gemein haben, als uns trennt, lasst uns für die Ideale streiten, die uns am Herzen liegen", sagte sie vor 15.000 Delegierten. Sie beendete ihren Auftritt mit der Schlussformel: „Gott segne euch. Gott segne die Vereinigten Staaten von Amerika."
Anderer Stil als Donald Trump
Ihr Stil ist ganz anders als der ihres republikanischen Konkurrenten Donald Trump. „Ich denke, die Linke ist gottlos", hatte Caroline Sunshine, eine Sprecherin seines Wahlkampfteams, vor dem Parteitag gesagt. Auf den amtierenden Präsidenten und praktizierenden Katholiken Joe Biden trifft dies eher nicht zu. Aber auch an der Haltung der meisten Demokraten geht die Wahlkampf-Attacke vorbei.
Laut einer Untersuchung des Public Religion Research Institute gehören 31 Prozent der Parteianhänger keiner Glaubensgemeinschaft an. 60 Prozent bezeichnen sich als Christen und verteilen sich überwiegend auf die katholische Kirche sowie protestantische Gemeinschaften. Die politisch einflussreichen Evangelikalen stellen eine kleine Minderheit, sie fühlen sich traditionell eher bei den Republikanern zu Hause.
Das kann nach Ansicht von Politikexperten fälschlicherweise zu dem Eindruck führen, dass Trump die erste Wahl im Lager der gläubigen US-Amerikaner sei. Doch selbst bei den Evangelikalen regt sich Widerspruch. Bei einem Zoom-Meeting der Gruppe „Evangelicals for Harris" kritisierte kürzlich der ehemalige republikanische Abgeordnete Adam Kinzinger den Personenkult um Trump als „Götzendienst".
Der katholische Erzbischof von Chicago, Kardinal Blase Cupich, hatte wohl nicht den Eindruck, bei Gottlosen zu sein, als er die Gäste des demokratischen Parteitags segnete. Dabei rief er zu Einheit und einem friedlichen Miteinander ohne Rassismus auf.
Das entspricht dem Glaubensverständnis, das Kamala Harris nach eigenen Angaben von zu Hause mitgenommen hat. Sie habe als Kind gelernt, „dass das Wort 'Glaube' eigentlich ein Verb ist: Wir müssen unseren Glauben leben und danach handeln", schrieb sie in ihrer Autobiografie „Die Wahrheit verpflichtet".
Harris vom Bibelunterricht beeinflusst
Im Bibelunterricht habe sie „von einem liebenden Gott" gehört, „der uns auffordert, für die zu sprechen, die nicht für sich selbst sprechen können". Es gehe also nicht zuletzt darum, sich für Arme und Schwache einzusetzen. Von ihren Eltern habe sie die gleiche christliche Botschaft vernommen, so die Politikerin. Harris' aus Indien eingewanderte Mutter Shyamala Gopalan blieb zeitlebens dem Hinduismus verbunden, während Vater Donald Christ ist.
Der baptistische Pastor Brown in San Francisco dient der Kandidatin darüber hinaus im Wahlkampf weiter als spiritueller Beistand. Doch die 59-Jährige ist auch anderen Religionen gegenüber aufgeschlossen, wie ihre Ehe mit Doug Emhoff, einem Juden, zeigt. Sie habe ihn tiefer mit seinem eigenen Glauben verbunden, obwohl ihrer nicht derselbe sei, ließ Emhoff die Delegierten des Parteitags wissen: „Sie geht mit mir an den hohen Feiertagen in die Synagoge - und ich komme mit ihr zu Ostern in die Kirche."
Von Bernd Tenhage
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