Orthodoxe KircheKiew kämpft gegen ukrainisch-orthodoxe Kirche

Angesichts des russischen Angriffskriegs geht die ukrainische Staatsführung mit immer härteren Bandagen gegen eine Kirche im eigenen Land vor, die als verlängerter Arm Moskaus gilt: die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche. Damit erhält der Krieg gegen die Ukraine eine weitere religiöse Komponente.

Die St. Andreas-Kirche in Kiew
© Pixabay

In den vergangenen Monaten führte der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU etwa 250 Razzien in Gotteshäusern und Klöstern der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK) durch, um nach eigenen Worten "subversive Aktivitäten russischer Spezialdienste" zu bekämpfen. Man wolle die Bevölkerung vor Provokationen und Terroranschlägen schützen und verhindern, dass Religionsstätten als Zentren der "russischen Welt" missbraucht würden, hieß es.

Zwar fanden die Beamten keine Waffen, aber prorussische Schriften und Sankt-Georgs-Bänder, die in Russland als Militärkennzeichen genutzt werden. Für Aufsehen sorgte besonders ein Foto von einem 17 Jahre alten Mann in Unterhose, das während der Durchsuchung in einem Kirchengebäude in Czernowitz entstand. Ihn habe man bei "körperlicher Intimität" mit Archimandrit Nikita angetroffen, so der Vorwurf.

Nikita erklärte dagegen, der Geheimdienst habe am Morgen die Haustür aufgebrochen: "Wir wurden aus unseren Zimmern geholt. Alle mussten sich an die Wand stellen und sich ausziehen." Seine Kirche steht weiter zu ihm. Sie machte den 42-Jährigen zum Bischof von Iwano-Frankiwsk.

Der von Präsident Wolodymyr Selenskyj geleitete nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat belegte mehrere ranghohe Bischöfe der UOK mit Sanktionen, weil sie für Russland Partei ergriffen hätten. Unter ihnen sind etwa Metropolit Anthonij, als Kanzler der Kirche Nummer Zwei nach dem Oberhaupt Onufrij, und Außenamtschef Metropolit Meletij. Ihr Vermögen wurde für fünf Jahre eingefroren. Bestimmte Handelsgeschäfte sind ihnen untersagt.

Anthonij erklärte darauf in einer Videobotschaft, ein "demokratischer Staat" verhänge keine Strafen gegen seine Bürger. "Wir werden unser Land wegen der Sanktionen nicht weniger lieben", versicherte Anthonij. "Wir werden alles tun, damit es gedeiht und das ukrainische Volk in Frieden und Liebe zu Gott und dem Nächsten lebt."

Der Leiter der Rechtsabteilung der UOK, Erzpriester Olexandr Bachow, protestierte vehement gegen die Diskreditierung der Kirche. Der Staat wolle, dass die Gläubigen der UOK zur Orthodoxen Kirche der Ukraine übertreten, die erst Ende 2018 gegründet wurde, sagte er jüngst bei einer Pressekonferenz im Kiewer Höhlenkloster. "Aber in Wirklichkeit treiben die Behörden mit solchen Methoden einen großen Teil der ukrainischen Gesellschaft in den religiösen Untergrund", betonte er.

Das Kirchenoberhaupt, Metropolit Onufrij, appellierte in einem offenen Brief an Selenskyj, das Recht auf Religionsfreiheit für die Gläubigen der UOK sicherzustellen. Er solle die ukrainische Gesellschaft vor "der Rhetorik des Hasses und der Intoleranz" bewahren, die religiöse Feindschaft schüre.

"Wir setzen unsere Hoffnung auf Sie, dass es Ihnen gelingen wird, eine künstliche Spaltung des ukrainischen Volkes aus religiösen Gründen zu verhindern, was unter den Umständen der äußeren Aggression lebenswichtig ist", schrieb der Kiewer Metropolit gemeinsam mit den Mitgliedern des obersten Leitungsgremiums der Kirche.

Doch Selenskyj zeigt sich von all den Protesten der UOK bisher ziemlich unbeeindruckt. Am 1. Januar ließ er deren Hauptkirche in Kiew, die Mariä-Entschlafens-Kathedrale im Höhlenkloster, und die Refektoriumskirche daneben schließen. In den kommenden Wochen solle eine Regierungskommission über die künftige Nutzung des Höhlenklosters beraten, kündigte Kulturminister Olexandr Tkatschenko an. Beide Gotteshäuser gehören dem Staat.

Der Pachtvertrag mit der UOK sei zum Jahresende ausgelaufen und werde nicht verlängert, so der Minister. Und es könnte noch schlimmer kommen. Das Verfassungsgericht entschied vergangene Woche, dass ein 2018 vom Parlament verabschiedetes Gesetz rechtens ist, das mit Russland verbundene Religionsgemeinschaften zwingt, diese Zugehörigkeit in ihrem Namen anzugeben.

Befürworter des Gesetzes werfen der UOK vor, sie verschleiere, dass sie dem Moskauer Patriarchat unterstehe. Wird das Gesetz nun tatsächlich wie geplant vollzogen, müssten sich die Ukrainische Orthodoxe Kirche künftig Russische Orthodoxe Kirche in der Ukraine oder so ähnlich nennen. Bisher bezeichnen Behörden und Medien sie meist als "Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats". Hingegen beteuert die UOK, sie habe im Mai ihre völlige Unabhängigkeit von Moskau beschlossen. Allerdings hing bei einer Tagung des Leitungsgremiums in Kiew weiter ein Bild des russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. an der Wand.

Der ukrainische Rechtsexperte Dmytro Wowk hält das Urteil der Verfassungsrichter für falsch. "Das Gesetz hätte für verfassungswidrig erklärt werden müssen, da die staatliche Einmischung in die Religionsfreiheit unverhältnismäßig ist", sagte er der "Katholischen Nachrichten-Agentur". Das Gesetz lege etwa fest, dass eine ukrainische Kirche auch dann ihren Namen ändern müsse, wenn ihre russische Mutterkirche sie als ihren Zweig betrachte.

"Das ist absurd, weil das Statut der Russischen Orthodoxen Kirche nicht der Kontrolle der Ukrainischen Orthodoxen Kirche unterliegt", so der Fachmann von der Nationalen Juristischen Universität in Charkiw, der aktuell Gastprofessor in New York ist. Der Streit um die UOK sei in der Ukraine ein "toxisches Thema". Vielleicht werde sich die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) einschalten.

Für Russland kommt das ukrainische Vorgehen gegen die UOK gelegen. Wladimir Putin hatte bereits im Februar eine Verfolgung der Kirche durch Kiew gebrandmarkt und auch mit diesem Argument die "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk per Dekret als unabhängige Staaten anerkannt. Moskau wird wohl weiter versuchen, seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen.

Trotzdem sprachen sich im Dezember in einer Umfrage 54 Prozent der Ukrainer für ein Verbot der UOK aus. Nur 12 Prozent waren dagegen. Die übrigen Befragten befürworteten eine strenge Kontrolle der UOK (24 Prozent) oder wollten sich nicht äußern. Die Bevölkerung steht demnach hinter Selenskyjs Plan, die Tätigkeit religiöser Organisationen untersagen zu lassen, "die mit Einflusszentren in der Russischen Föderation verbunden sind".

Der Präsident beauftragte die Regierung, einen entsprechenden Gesetzentwurf zu erarbeiten und dem Parlament vorzulegen. Wie das alles in der Praxis funktionieren soll, ist angesichts von etwa 12.000 Pfarreien offen.

Unterdessen griff Anfang Januar ein Mann einen Priester der UOK in einer Kirche im Bistum Winnyzja an und verletzte ihn schwer. Die Polizei schoss dem Angreifer ins Bein und nahm ihn fest. Der Mann sei in psychiatrischer Behandlung gewesen, hieß es. Für Beobachter scheint es nicht ausgeschlossen, dass die angeheizte Stimmung gegen die Kirche zu dem Angriff beigetragen hat. 

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