KindergrundsicherungExperten enttäuscht über Entwurf

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. So könnte das Fazit der Expertenrunde lauten, die am Montag dem Familienausschuss des Bundestags Rede und Antwort zum Gesetzentwurf der Kindergrundsicherung stand.

Mädchen
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Wohlfahrtsverbände und Interessengruppen hatten das Prestigeprojekt von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) mit großen Erwartungen begleitet und unterstützt, zumal laut Statistik inzwischen jedes fünfte Kind von Kinderarmut betroffen ist. Einhellig begrüßten sie denn auch das Ziel der Vorlage. Und ebenso einhellig waren sie von der Umsetzung enttäuscht. Selten stieß ein Gesetzgebungsvorhaben auf derartige Kritik bis Ablehnung.

Paus will mit dem Vorhaben 1,9 Millionen Kinder in Deutschland aus der Armut holen und ihnen eine bessere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Dazu sollen die bisherigen Leistungen Kindergeld, Bürgergeld, Sozialhilfe, Kinderzuschlag sowie Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes zusammengeführt werden.

Um die Vergabe der Gelder soll sich in Anlehnung an die bisherigen Familienkassen künftig ein eigener "Familienservice" bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) kümmern. Allein für die zusätzliche Bürokratie rechnet der Gesetzentwurf mit jährlich 408 Millionen Euro an Mehrausgaben, bei weiteren deutlichen Steigerungsraten. In der neuen Bürokratie sollen 5.000 Menschen arbeiten.

Von den zunächst geforderten zwölf Milliarden Euro für das Projekt konnte Paus bei Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nur 2,4 Milliarden durchsetzen. So beklagten Verbandsvertreter unisono, dass Leistungen nicht angemessen erhöht, mehr noch teilweise sogar gekürzt würden. Stattdessen erschwere eine neue Bürokratie mit Mehrfachzuständigkeiten und Parallelstrukturen den Leistungsbezug für Familien.

"Besonders enttäuscht" zeigt sich nicht nur Andreas Aust vom Paritätische Gesamtverband, "dass die Neuermittlung des soziokulturellen Existenzminimums" ausbleibt - anders als im Koalitionsvertrag vorgesehen. Dann aber sollte man zumindest nicht den Sofortzuschlag für Kinder in Armut abschaffen, verlangte er. Die Kindergrundsicherung müsse deutlich mehr sein als eine Verwaltungsreform, so Aust. "Um Armut zu bekämpfen, brauchen Familien schlicht und einfach mehr Geld."

Der Familienbund der Katholiken sieht in dem Entwurf "statt echter Leistungsverbesserungen" für Familien an vielen Stellen "begriffliche Umetikettierungen und weitgehend symbolische Änderungen von Zuständigkeiten". Außerdem Verwaltungsverfahren, "deren Wirksamkeit und Funktionalität mindestens fragwürdig sind".

Nach Auffassung des Familienbundes führt die Reform "zu teilweise fragwürdig gelösten politischen Zielkonflikten". Das gelte etwa, wenn Familien im Grundsicherungsbezug für ihre Kinder jetzt eine weitere Stelle aufsuchen müssen, nur weil man die "Kinder aus dem SGB II holen" wolle. Damit werde das Verfahren für Familien komplizierter, statt einfacher.

Der Bundesgeschäftsführer des Familienbundes, Matthias Dantlgraber, kritisierte ferner, dass der Entwurf bei den Ansprüchen zwischen Eltern und Kindern unterscheide. Dabei verwies er auf das in der Verfassung vorgesehene Erziehungsrecht der Eltern.

Auch die Vertreterin der Kommunalen Jobcenter Diana Stolz mahnte, Kinder nicht unabhängig von der Familie zu sehen. Ergebe sich Kinderarmut doch aus Familienarmut, weswegen eine Unterstützung die gesamte Familie umfassen müsse. Und dabei gehe es nicht nur um finanzielle Fragen. Gerade deshalb brauche es ein Netzwerk, wie dies mit den Jobcentern bereits vorhanden sein.

Stolz warf der Regierung vor, Hilfsstrukturen zu zerschlagen und sprach von einem "Bürokratieaufwuchs, der uns davon abhält Kindern zu helfen". Andere Sachverständige mahnten ebenfalls, vorhandenen Unterstützungsstrukturen nicht zu zerschlagen, die sich in den rund 1.000 Jobcentern für Familien im Bürgergeld-Bezug etabliert haben.

Sollte es tatsächlich bei den vorliegenden Regelungen bleiben, dürfte sich zumindest der Zeitplan verschieben. Nach den Worten von Vanessa Ahuja, die für die Bundesagentur für Arbeit das Wort ergriff, ist die Reform nicht bis Januar 2025 zu realisieren. Angesichts der Komplexität brauche es mehr Zeit, um Personal zu rekrutieren und auszubilden, den Datenaustausch zu ermöglichen oder Schnittstellen zum Jobcenter zu klären. Möglich sei allenfalls eine schrittweise Einführung ab Mitte 2025.

Für den Familienbund der Katholiken entsteht insgesamt der Eindruck, "dass diese umfangreiche "Neuausrichtung" vorrangig dazu dient, "den im Vergleich zur vorausgehenden zivilgesellschaftlichen Kindergrundsicherungsdebatte geringen Gehalt der Reform zu überdecken".

Von Christoph Scholz
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