Zwar war der für Finanzfragen zuständige Synodalrat, die Exekutive der Landeskirche, nicht besonders glücklich über die Demonstrationen. Er musste dann aber doch hinnehmen, dass die Synode den Druck der Basis aufgriff, fünf weit reichende Beschlüsse fasste und dabei mit der Finanzkeule drohte, wie das katholische Internetportal kath.ch berichtete. Sollte Bischof Felix Gmür entsprechende Forderungen nicht erfüllen, „behält sich die Synode vor, das Zurückbehalten eines Teils des Bistumsbeitrages zu beschließen".
Eine Sonderkommission soll die Umsetzung der Reformen bewerten. Gegebenenfalls werde die zweite Hälfte des jährlichen Beitrags in Höhe von 442.000 Franken (458.000 Euro) nicht ausgezahlt, so der Beschluss. Das ginge, weil im Schweizer Religionsverfassungssystem Laien die Verteilung der Kirchensteuer kontrollieren.
Zu den inhaltlichen Forderungen der Synode gehören eine unabhängige Meldestelle für Hinweise auf möglichen Missbrauch, unabhängige Untersuchungen, Verzicht auf Aktenvernichtung, Öffnung der Nuntiatur-Archive in Bern sowie die Umsetzung von Maßnahmen, die die landesweite Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) schon vorher zur Diskussion gestellt hatte.
Auslöser der jüngsten Debatten ist eine Mitte September vorgestellte Pilotstudie der Universität Zürich zu sexuellem Missbrauch in der Schweizer katholischen Kirche. Zudem war bekannt geworden, dass der Vatikan eine kirchenrechtliche Untersuchung gegen vier amtierende und zwei emeritierte Mitglieder der Schweizer Bischofskonferenz angeordnet hatte. Durchführen soll sie der Churer Bischof Joseph Bonnemain.
Damit die katholische Kirche Fehlverhalten in den eigenen Reihen nicht wieder nur innerkirchlich klärt, beschloss die RKZ, Bischof Bonnemain „im Sinn der öffentlichen Glaubwürdigkeit" unabhängige Fachpersonen zur Seite zu stellen: aus der französischsprachigen Westschweiz den Neuenburger Kantonsrichter Pierre Cornu und aus der Deutschschweiz die Zürcher Professorin für Strafrecht und Strafprozessrecht Brigitte Tag.
Ausgelöst hatte das vatikanische Verfahren ein Whistleblower, ein früherer leitender Mitarbeiter des Bistums Lausanne-Genf-Freiburg. Laut Mitteilungen der RKZ und des Bistums Chur geht es in drei Fällen um Meldeunterlassungen, in einem weiteren Fall um sexuelle Belästigung. Für alle Beschuldigten gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung.
Unmittelbar nach den Beschlüssen der Luzerner Synode am Mittwoch äußerte sich der betroffene Basler Bischof Gmür. Die Drohung mit gekürzten Finanzzuweisungen schade letztlich den von ihm eingeleiteten Aufarbeitungsmaßnahmen, die den Forderungen der Laien entsprächen, so Gmür in Gesprächen mit zwei Fernsehsendern. Mit der Entscheidung, gemeldete Missbrauchsfälle künftig von einer Anwaltskanzlei untersuchen zu lassen, hat Gmür eine Forderung der Synode bereits erfüllt.
„Die Ironie der Geschichte besteht darin, dass ausgerechnet das Bistum Basel von diesem Widerstand betroffen ist", kommentiert Charles Martig, Direktor des Portals kath.ch. Warum, so fragt Martig, nicht die Bistümer Lugano oder Lausanne-Genf-Freiburg? Dort sei "der Zustand der Archive besonders deplorabel"; dort gebe es derzeit klare Schwächen bei der Bearbeitung von Missbrauchsfällen.
Aber in den vergangenen Monaten tauchten auch im Bistum Basel Fälle auf, denen zufolge das Offizialat am Bischofssitz in Solothurn bei der Umsetzung kirchlichen Strafrechts Fehler gemacht hat. Zudem bleiben landesweit die Kirchenaustrittszahlen gleichbleibend hoch, weshalb die Ungeduld für Reformen wächst. Schließlich haben mehrere Politiker signalisiert, staatliche Behörden müssten genauer hinsehen, was in der Kirche geschieht - oder eben nicht.
Allerdings sieht es derzeit nicht so aus, als würden weitere der zehn zum Bistum Basel gehörenden Kantone dem Luzerner Beispiel folgen. Weder in Aargau, Solothurn noch andernorts stehen derzeit entsprechende Forderungen auf den Agenden der Kantonalkirchen. Weswegen, so Martig im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), deren Delegierte beim RKZ-Plenum Ende November wohl keine Finanzkeule schwingen würden, wenn sie über den 2,4-Millionen-Etat für 2024 an die Bischofskonferenz beraten.
Schon bei der Luzerner Synode gab es ähnliche Bedenken, wie das Abstimmungsergebnis von 59 gegen 30 Stimmen zeigte. „Wenn jeder der zehn Bistumskantone seine Zahlungen an Bedingungen knüpfen würde, wäre Bischof Felix nicht mehr handlungsfähig", erklärte etwa Diakon Urs Corradini. Der Luzerner Beschluss verstärke das Misstrauen gegen den Bischof und mache ihn zum Befehlsempfänger einer Synode, kritisiert der Leiter eines Pastoralraums im westlichen Kanton Luzern. „So geht katholische Kirche nicht - schon gar nicht, wenn sie synodal sein will."
Nicht ausgeschlossen ist aber, dass es in den kommenden Monaten auch in der Westschweiz unruhiger wird. In einem bekanntgewordenen Brief an Bischof Bonnemain erklärte eine Frau, Bischof Charles Morerod habe ihr Ende 2015 erklärt, er habe ungeöffnete Briefe an seinen Vorgänger Bernard Genoud (Amtszeit 1999-2010) verbrennen lassen. Was genau in den persönlich adressierten Briefen stand und ob deren Verbrennung den Tatbestand der von Morerod stets bestrittenen Aktenvernichtung erfüllt, ist derzeit strittig.
Dass sich die Bistumsmitarbeiterin als Zeugin auf einen entsprechenden Aufruf des ermittelnden Bischofs Bonnemain meldet, ist jedenfalls ein Indiz, dass auch in der Westschweiz Steine ins Rollen kommen. Andererseits steht dort die Landeskirche des finanzstarken Kantons Waadt noch fest an der Seite von Bischof Morerod.
Derweil wartet das italienischsprachige Bistum Lugano im Tessin seit gut einem Jahr auf einen neuen Bischof. Dass von dort größere Entwicklungen oder gar Entscheidungen zu erwarten sind, scheint vorerst unwahrscheinlich.
Von Roland Juchem
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