Geht es nach Venezuelas Machthaber Nicolas Maduro, dann müssen sofort neue Landkarten für Südamerika gedruckt werden. Bei einem international hoch umstrittenen Referendum am Sonntag sprachen sich nach offiziellen Angaben mehr als 10,4 Millionen Venezolaner für eine Annexion des guyanischen Essequibo-Gebietes aus. Das betroffene Gebiet, das Maduro nun für Venezuela beansprucht, ist größer als Griechenland. Guyanas Regierung bezeichnete das Referendum indes als Bedrohung für Sicherheit und Frieden in der Region.
Auch die venezolanische Opposition zweifelt die Zahlen an. In sozialen Netzwerken sind unzählige Bilder leerer Wahllokale zu sehen, Beobachter sprachen gar von einem Debakel für die Maduro-Regierung. Doch die Wahlbehörde sah das anders und verkündete das vom Regime erhoffte Ergebnis mit angeblich mehr als 96 Prozent Zustimmung.
Das Interesse am Essequibo-Gebiet besteht schon lange, auch wenn Venezuela in der Vergangenheit eigene Ansprüche zurückstellte. Doch nachdem US-Konzerne in Guyana Öl entdeckten, ist der Streit um die Region wieder neu entbrannt. Und – wie fast immer bei solchen Konflikten – finden sich Historiker auf beiden Seiten, die die jeweilige Sichtweise wortreich bestätigen.
Die aktuellen Grenzen des Gebiets wurden 1899 auf Initiative der USA in einem Schiedsspruch eines Tribunals in Paris festgezurrt. Venezuela wiederum beruft sich auf eine Vereinbarung mit dem Vereinigten Königreich von 1966 – unmittelbar bevor die damalige Kolonie Britisch-Guayana unabhängig wurde.
Die Gegend ist dünn besiedelt, es leben vor allem indigene Völker dort, die sich klar für einen Verbleib in Guyana ausgesprochen haben. Ein Teil von ihnen ist allerdings auch gegen eine Förderung des fossilen Brennstoffs Erdöl, auf den es nun US-Konzerne und venezolanische Sozialisten gleichermaßen abgesehen haben.
„Damit es keine Zweifel gibt, Venezuela gehört uns", sagte Maduro und präsentierte stolz die neue Landkarte Groß-Venezuelas. Zugleich kündigte er die Schaffung einer militärischen Sondereinheit an. Im Nachbarland Brasilien, das Grenzen zu beiden Staaten hat, wird die Entwicklung mit Sorge betrachtet. Brasilia ordnete die Verstärkung seiner militärischen Grenztruppen im Norden an. Ein kriegerischer Konflikt könnte die ohnehin schon dramatische Migrationsentwicklung aus Venezuela weiter vorantreiben: In den vergangenen zehn Jahren haben mehr als acht Millionen Menschen das Land wegen der katastrophalen Versorgungslage und staatlicher Repression verlassen. Das entspricht rund einem Viertel der Bevölkerung.
Maduro verfolgt mit seinem Vorgehen vor allem ein Ziel: Rechtzeitig vor den Präsidentschaftswahlen 2024 will er die Bevölkerung mit einem außenpolitischen Erfolg hinter sich versammeln. Umfragen sagen bisher einen Sieg der bürgerlich-konservativen Oppositionskandidatin Maria Corina Machado voraus, sollte das Kandidaturverbot gegen sie aufgehoben werden. Hinzu kommt, dass Venezuela ein enger Verbündeter Russlands und Chinas ist. Insbesondere Moskau hat ein Interesse daran, die USA in einen weiteren Konflikt zu verwickeln. Die Ukraine und Israel binden schon jetzt erhebliche US-Mittel - einen weiteren Schauplatz könnte sich Washington womöglich nicht leisten. Zuletzt waren zahlreiche Spitzenpolitiker aus Moskau in Venezuela zu Gast.
Maduro versucht derweil, Fakten zu schaffen und forderte die staatlichen Ölkonzerne auf, Lizenzen für die Ölgebiete im Osten zu vergeben. Guyanas Regierung reagiert eher passiv und ist in erster Linie darauf bedacht, die eigene Bevölkerung zu beruhigen. Man sei auf alle Szenarien vorbereitet, heißt es. Mit einem baldigen Angriff rechne man aber nicht.
Von Tobias Käufer
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