Sie müssen nichts sagen, keine Schilder hochhalten, ihre Anwesenheit genügt. Sobald sich eine Gruppe von Frauen in roten Umhängen und weißen Hauben stumm anklagend in der Öffentlichkeit versammelt, dann weiß man: Achtung, Frauenrechte sind in Gefahr! Fundamentalismus droht! Seit dem weltweiten Erfolg der Serie „The Handmaid's Tale" („Die Geschichte der Dienerin") stehen die charakteristischen Bekleidungsstücke der Dienerinnen für die Entrechtung von Frauen, ihre Degradierung zu Gebärmaschinen in einem fundamentalistischen Staat.
Diese Kostüme sind „ein brillantes Protestsymbol, denn niemand kann dich rauswerfen, weil du störst. Keiner kann dich rausschmeißen, weil du unanständig gekleidet bist. Aber jeder, der dich im Fernsehen sieht, weiß, was es bedeutet", sagte Margaret Atwood 2019 in einem Interview des kanadischen Senders CBC News. Die englische Zeitung „The Guardian" urteilte damals, die Kleidung der Dienerinnen sei aktuell das stärkste Symbol des feministischen Protests. Und das hat sich bislang nicht geändert.
In Atwoods Roman wie in der darauf beruhenden Serie geht es um den christlich-fundamentalistischen Staat Gilead auf dem Boden der ehemaligen USA. In der Diktatur sind Frauen komplett entrechtet. Sie dürfen nicht lesen oder schreiben. Die Frauen, die als Dienerinnen bestimmt sind, sollen nach einer monatlichen rituellen Vergewaltigung als Gebärmaschinen dienen.
Atwoods Roman von 1985 war von Anfang an erfolgreich und wurde mehrfach verfilmt. Doch erst die auf dem Roman basierende Serie des US-Streamingdienstes Hulu hat der Geschichte eine geradezu außergewöhnliche Wirkung verliehen. Die erste Staffel wurde im April 2017 ausgestrahlt, als der damalige US-Präsident Donald Trump gerade wenige Monate im Amt war. Im Mai bereits wählten die ersten Frauen den roten Umhang und die weiße Haube, um vor dem Regierungsgebäude des US-Bundesstaates Texas zu protestieren.
Die Kostümbildnerin Ane Crabtree hat die mittlerweile ikonischen Bekleidungsstücke entworfen. In einem Interview der britischen Ausgabe der Zeitschrift "Vogue" sagte sie, sie sei von einem Priester, den sie in Mailand gesehen habe, gleichermaßen beeinflusst worden wie von den Amish, einer Glaubensgemeinschaft. „Am Ende bedeutete die poetische Fluidität der Kleider, dass die Dienerinnen aussahen wie Lebenskraft, die sich durch eine graue, dystopische Betonwelt bewegt."
Das Smithsonian National Museum of American History hat 2019 ein Exemplar in seinen Bestand aufgenommen. „Die Serie mit ihren Themen und dem Design hat so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen und dabei eine überragende Wirkung gehabt", erklärte damals Ryan Lintelman vom Museum dem Branchenblatt „Variety". „Die Tatsache, dass dieses Kostüm bei Protesten benutzt wurde, ist auch für uns von Bedeutung."
Und wie dieses Kostüm bei Protesten eingesetzt wurde – von Irland bis Argentinien, von den USA bis zuletzt nach Israel im Frühjahr 2023. Mittlerweile sind Umhänge und Hauben unproblematisch zu erhalten und damit sofort einsetzbar. Autorin Atwood, 2017 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, betrachtet die Demonstrationen, bei denen Frauen als Dienerinnen bekleidet auftauchen, mit großem Wohlwollen.
Seit den Protesten in Israel vor einem Jahr hat man keine Demonstrantinnen mehr im Kostüm der Dienerin gesehen. Aber das kann sich schlagartig wieder ändern. In den USA wird gerade wegen eines Urteils im Bundesstaat Alabama darüber gesprochen, ob die künstliche Befruchtung (IVF) noch weiter einsetzbar sei. Vertreter der christlichen Rechten machen kein Geheimnis daraus, dass sie den freien Zugang zu Verhütungsmitteln gerne abschaffen würden wie auch die „Ehe für alle". Der Ausgang der Wahlen im November wird Weichen stellen.
So oder so sind der rote Umhang und die weiße Haube der Dienerinnen zu einem mächtigen, sofort lesbaren Symbol des Protests geworden. Die US-Journalistin Alina Cohen wies in einem Artikel über die ikonischen Bekleidungsstücke allerdings darauf hin, dass sie Frauen in der Defensive repräsentierten: Frauen, die dafür kämpften, ihre erworbenen Rechte zu behalten – statt mehr zu fordern.
Von Christiane Laudage
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