Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einem „historischen Moment", Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) dagegen von einem ersten Schritt. Gegen 3 Uhr nachts - viel später als ursprünglich vorgesehen - trat Scholz zusammen mit Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) vor die Kamera. Erste Reaktionen auf das Papier fielen höchst unterschiedlich aus. Während einige Verbände ihre Befürchtungen bestätigt sahen, gehen vielen Unionspolitikern die Vorschläge nicht weit genug.
Konkret verständigten sich die Verhandlungspartner darauf, dass der Bund künftig eine Pauschale von jährlich 7.500 Euro pro Flüchtling übernimmt. Die Länder hatten zunächst 10.500 Euro gefordert. Weiter wollen sie Leistungen für Asylbewerber einschränken, die seit mehr als eineinhalb Jahren in Deutschland sind. Diese sollen erst nach drei Jahren Zahlungen in Höhe der Sozialhilfe erhalten, statt bisher schon nach 18 Monaten. Zudem sollen Asylbewerber nach dem Willen der Regierungschefs zumindest einen Teil ihrer Leistungen künftig als Guthaben auf eine Bezahlkarte bekommen.
Auch sollen Asylverfahren beschleunigt werden. Die erste Entscheidung des zuständigen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge soll nach sechs Monaten vorliegen. Noch schneller soll es bei Staaten mit niedriger Anerkennungsquote gehen. Bund und Länder verständigten sich zudem darauf, die Kontrollen an den Grenzen zur Schweiz, Tschechien, Polen und Österreich fortzusetzen.
Sie unterstützen zudem die geplante Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zur Überprüfung und Registrierung von Geflüchteten bereits an den Außengrenzen der EU. Außerdem soll die Bundesregierung prüfen, ob Asylverfahren künftig auch in Drittstaaten möglich sind.
Pro Asyl zeigte sich entsetzt über die Vorhaben. Die Kürzungen seien in verfassungsrechtlicher Hinsicht fraglich und zeugten von Empathielosigkeit und Unkenntnis der Lebensrealität geflüchteter Menschen. Die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz, die die Prüfung von Asylanträgen in Drittstaaten vorsähen, seien „brandgefährlich".
Die Diakonie hingegen bezeichnete es als Trugschluss, dass niedrigere Leistungen oder Bezahlkarten Menschen davon abhielten, Schutz zu suchen. Auch werde in der Diskussion vergessen, dass bestimmte Leistungen dazu dienten, die Integration von Geflüchteten mit Behinderungen zu ermöglichen.
Dagegen hatte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa im Vorfeld im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärt, sie habe grundsätzlich nichts gegen eine solche Bezahlkarte. Nur müsse nur sichergestellt sein, dass Asylbewerber etwa für ihre Mahlzeiten einkaufen könnten, was sie wollten.
Der Leipziger Oberbürgermeister und Vizepräsident des Deutschen Städtetages, Burkhard Jung (SPD), reagierte enttäuscht auf die Einigung. Die beschlossene Kopf-Pauschale pro Flüchtling sei zwar positiv, weil sie finanzielle Sicherheit gebe, sagte Jung im Deutschlandfunk. 7.500 Euro seien aber „deutlich zu wenig". Zugleich plädierte er dafür, die Kommunen künftig an den Beratungen zur Flüchtlingspolitik zu beteiligen, da sie die Leistungen vor Ort organisieren müssten. „Wir gehören an den Tisch", betonte er.
Mit an diesen Tisch wollen auch Wohlfahrtsverbände und Kirchen. Darauf hatte Welskop-Deffaa in dem KNA-Interview ebenfalls hingewiesen. Die Vorgängerregierung habe betroffene Verbände deutlich stärker eingebunden. Tatsächlich haben Bund und Länder diese Idee aufgegriffen, die allerdings bislang kaum beachtet wurde: So soll eine Kommission zu Fragen der Steuerung von Migration und besserer Integration in Abstimmung mit den Ländern eingerichtet werden. Explizit sollen daran auch Vertreter der Kirchen teilnehmen.
CDU-Chef Friedrich Merz, der im Vorfeld des Gipfels nach einem Treffen mit dem Kanzler noch sehr positiv gestimmt war, erklärte noch am Dienstag, der Deutschlandpakt zwischen Ampelregierung und Union habe sich nun erledigt. Er forderte zugleich eine schnelle Umsetzung der Beschlüsse, die Leistungskürzungen für Asylbewerber vorsehen. „Ich erwarte, dass diese Beschlüsse noch vor dem Jahresende eingebracht werden", so Merz. Er sehe aber keine Bereitschaft des Kanzlers das Gespräch mit der Union über zusätzliche Maßnahmen „substanziell" fortzusetzen.
Von Birgit Wilke
© KNA. Alle Rechte vorbehalten.