Neue Heilige für den Kalender der Russischen Orthodoxen KircheDeutsche Glaubenszeugen

Die russisch-orthodoxe Kirche hat zwölf deutsche Heilige in ihren Kalender aufgenommen. Dieser Vorgang ist nicht ungewöhnlich.

Bonifatius
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Für manchen mag es überraschend gewesen sein, dass am 24. August 2023 der Heilige Synod der Russischen Orthodoxen Kirche zwölf Glaubenszeugen des ersten Jahrtausends, die – wie es im Synodalbeschluss unter Verwendung der traditionellen liturgischen Terminologie heißt – "im deutschen Lande aufgestrahlt sind", in den Heiligenkalender, das Menologion, aufgenommen hat.

Das geht auf eine Petition zurück, die gemeinsam von den Diözesanbischöfen der beiden in Deutschland bestehenden russischen Bistümer eingereicht wurde, also von Metropolit Mark (Arndt) von Berlin und Deutschland von der Russischen Auslandskirche und von Erzbischof Tichon (Zajcev) von Ruza, dem Leiter der Diözese von Berlin und Deutschland des Moskauer Patriarchats. Das Vorhaben fand Unterstützung bei Bischof Pankratij (Žerdev) von Troick, der seit 2011 Vorsitzender der Synodalkommission für die Kanonisierung von Heiligen ist.

Dem vorausgegangen waren intensive Vorarbeiten. So hatten die beiden russischen Diözesen schon im Jahr 2018 begonnen, in gemeinsamer intensiver Arbeit Materialien über die Heiligen Deutschlands des ersten Jahrtausends zu sammeln und Beschreibungen ihrer Viten zusammenzustellen. Im September 2019 veranstalteten die Diözesen – wiederum gemeinsam – eine Konferenz zum Thema "Heilige Deutschlands des ersten Jahrtausends", aus der eine Arbeitsgruppe zur Sammlung und Aufbereitung von entsprechenden Materialien gebildet wurde. Die Ergebnisse dann 2022 der Synodalkommission für die Kanonisierung vorgelegt werden.

Nach weiteren Konsultationen kam die Synodalkommission für die Kanonisierung im Hinblick auf zwölf Glaubenszeugen des deutschen Sprachraums aus dem ersten Jahrtausend zu dem Schluss, dass "ihre Taten und ihr Märtyrertod über jeden Zweifel erhaben sind", wobei auch Belege für ihre Verehrung als Heilige schon im ersten Millennium berücksichtigt wurden. Was die anderen von den Diözesen vorgeschlagenen Namen betrifft, sind noch weitere Untersuchungen erforderlich.

Die Synod hat die Namen der folgenden Glaubenszeugen, die "in die Versammlung der Heiligen, die im deutschen Lande aufgestrahlt sind", in den Kalender aufgenommen:

- der heilige Märtyrerbischof Bonifatius, Erzbischof von Mainz, Erleuchter Deutschlands (754);

- der heilige Märtyrer Aureus, Bischof von Mainz (436);

- die Märtyrer Mauritius und seine Gefährten vcon der Thebaischen Legion: Gereon, Cassius, Florentius und andere Soldaten (um 300);

- die Märtyrerin Aphra von Augsburg (304);

- der heilige Maximianus, Bischof von Trier (347);

- der heilige Maternus, erster Bischof von Köln (4. Jahrhundert);

- der heilige Korbinian, erster Bischof von Freising (725/730);

- der heilige Willibrord, Erzbischof von Utrecht (739);

- der heilige. Burkhard, Bischof von Würzburg (753);

- der heilige Ansgar, Erzbischof von Hamburg (865); - die ehrwürdige Lioba von Bischofsheim (728);

- die ehrwürdige Walpurga von Eichstätt (779).

Zudem beschloss der Heilige Synod auch die Einführung einer gemeinsamen Festfeier aller Heiligen der deutschen Lande, also einer "Versammlung (griech. Synaxis, slaw. Sobor)", wie ein solches gemeinsames Gedenken im orthodoxen Heiligenkalender genannt wird und legte den Tag der Feier der Versammlung auf den 20. September / 3. Oktober fest, wenn dieser Tag mit einem Sonntag zusammenfällt, andernfalls an dem dem 20. September / 3. Oktober nächstgelegenen Sonntag.

Diese Datierung hat, obwohl das im Synodalbeschluss nicht explizit gesagt wird, eine spezifisch deutsche Sinngebung. Während in der Regel die Versammlung der Heiligen eines Landes am 2. Sonntag nach Pfingsten begangen wird, nachdem am 1. Sonntag nach Pfingsten ja überhaupt aller Heiligen gedacht wurde, wurde hier also das Datum des deutschen Nationalfeiertages, des "Tages der Deutschen Einheit", gewählt. Die Aufnahme von Heiligen aus anderen Ländern ist für den russischen Kirchenkalender keine Novität.

Wie die Kalender aller orthodoxen autokephalen Kirchen beinhaltet er – sozusagen als Basis – für jeden Tag des Jahres neben den hohen Festen im Gedächtnis an das Leben des Herrn und der Gottesmutter sowie der Gedächtnisse der Propheten des Alten Testaments Tagesheilige aus der Schar der 12 und der 70 Apostel, sodann aber auch in großer Zahl der frühchristlichen Martyrer, weiter der Kirchenväter, der Bekenner aus der Zeit des Ikonoklasmus und natürlich die große Zahl der frühen Mönchsväter und -mütter.

Während diese Gedächtnisse zumeist gesamtorthodox sind und von allen Landeskirchen am gleichen Tag begangen werden, haben dann im 2. Jahrtausend die einzelnen autokephalen Kirchen mehr oder minder viele eigene Heilige kanonisiert, so in der alten Rus" schon beginnend mit den hll. Leidenduldern Boris und Gleb, deren Fest wohl bereits 1039 (spätestens 1072) ins russische Menologion aufgenommen wurde, also nur etwa 50 Jahre nach der Taufe der Rus". 1547 bzw. 1549 kam es dann in Russland unter dem Metropoliten Makarij (1543–1564) auf zwei Moskauer Synoden zu einer wahren Flut von Kanonisierungen eigener nationaler Heiliger, nämlich von insgesamt 39 Personen; wobei allerdings in den meisten Fällen lediglich eine ältere, oft lokale Verehrung bekräftigt bzw. gesamtkirchlich bestätigt wurde (nur 9 Heilige wurden neu kanonisiert).

Um diese Zahl richtig einzuordnen, muss man wissen, dass bis dahin in fast einem halben Jahrtausend die Kirche der Rus" nur 22 Heilige kanonisiert hatte. Der hier eingeschlagene Weg wurde dann konsequent weiter fortgesetzt: Bis zum Ende der ersten patriarchalen Periode war die Zahl der eigenen von der Russischen Kirche kanonisierten Heiligen auf 146 gestiegen.

In der folgenden Synodalzeit – wohl auch dem damaligen aufklärerischen Zeitgeist folgend - war man hingegen sehr zurückhaltend mit Kanonisierungen: Die erste erfolgte (für den hl. Dimitrij von Rostov, der 1709 gestorben war) erst 1757. Insgesamt wurden bis zum Regierungsantritt Kaiser Nikolaj II. 1896 (also in fast 300 Jahren!) überhaupt nur fünf Heilige zur allgemeinen Verehrung kanonisiert, unter ihm dann allerdings mehrere, so 1903 auf persölnliche Initiative des Herrschers einer der nicht nur in Russland meistverehrten orthodoxen Heiligen, der hl. Serafim von Sarov (1754–1833).

Unter der gottlosen Sowjetmacht war an neue Kanonisierungen natürlich nicht zu denken, doch nach dem Zusammenbruch der UdSSR hat die wiederauflebende Russische Orthodoxe Kirche zahlreiche neue Heilige kanonisiert. Es handelt sich hauptsächlich um Menschen, die wegen ihres Glaubens unter den Kommunisten gelitten hatten, aber nicht nur.

Bereits zum Taufmilleninum 1988 gab es die ersten neuen Heilige, darunter Menschen aus der fernen und auch gar nicht so fernen Vergangenheit, so der mittelalterliche Fürst Dmitrij vom Don (1350–1389), der Malermönch Andrej Rublev (ca. 1360–1428); die selige Ksenija von Sankt Petersburg (gest. 1803), der Starec Amvrosij von Optina (1812–1891).

Eine große Zahl neuer Namen kam dann ins Menologion aus der Fülle der Neumärtyrer, Bekenner und Leidendulder, die unter dem boloschewistischen Regime und seiner Verfolgung – der wohl größten seit Diokletian – gelitten hatten. Allein auf dem Bischofskonzil im Jahr 2000 wurden mehr als tausend Neumärtyrer und Bekenner Russlands heiliggesprochen, darunter Patriarch Tichon, Erzpriester Ioann Kočurov, Bischof Luka (Vojno-Jaseneckij) von der Krim, Kaiser Nikolaj II. und seine Familie und die Großfürstin Elisaveta Feodorovna, um nur die Bekanntesten zu nehmen. Noch immer geht diese Reihe von Kanonisationen weiter.

Daneben hat die Russische Kirche aber auch seit einigen Jahrzehnten Heilige, die in anderen Landeskirchen kanonisiert worden sind, in ihr allgemeines Menologion aufgenommen, so dass man nun dort dort serbische, rumänische, georgische und andere Heilige auch der neuesten Zeit findet, wie die Bischöfe Nikolaj (Velimirović,1880–1856) von Ohrid und Gorazd (Pavlík, 1879–1942) von Prag, der Athonitenmönch Paisios (Eznipidis, 1924–1994) oder der georgische Starec Gavriil (Urgebadze,1929–1995), die zuvor von ihren jeweiligen Landeskirchen kanonisiert worden sind.

Am 14. Mai 2018 wurden beispielsweise in den Monatskalender die Namen gleich einer ganzen Schar von Heiligen aufgenommen, die in der Georgischen Orthodoxen Kirche seit alters her verehrt werden. In diese Kategorie sind jetzt auch die neu anerkannten deutschen Heiligen einzuordnen. Es war auch nicht das erste Mal, dass der Kalender der Russischen Orthodoxen Kirche um die Namen alter Heiliger, die in westlichen Ländern lebten, bereichert wurde.

Schon am 9. März 2017 wurde vom Heiligen Synods eine ganze Reihe solcher Heiliger aufgenommen, basierend auf Informationen über ihre Verehrung durch die Orthodoxen in den westeuropäischen Diözesen der Russischen Orthodoxen Kirche sowie über die Tradition ihrer Verehrung in anderen orthodoxen Landeskirchen, darunter vor allem die Märtyrer von Lyon aus dem Jahr 177, nämlich Bischof Pothinus, Blandina, Epipodius, Alexander und Ponticus von Lyon, aber auch Saturninus, der erste Bischof von Toulouse und Victor von Marseille (um 290); der Märtyrer Alban von Britannien (Anfang 4. Jahrhundert); Honoratus, Bischof von Arles (429); Germanus, Bischof von Auxerre (448); Vinzenz von Lerins (vor 450); Patricius, der Erleuchter von Irland (nach 460); die ehrwürdige Genevieve von Paris (512).

Es fällt auf, dass alle diese Heiligen den ersten Jahrhunderten angehören – allerdings mit einer bemerkenswerten Ausnahme, nämlich dem ehrwürdigen Prokopius, Abt von Sázava in Böhmen, der erst 1053 gestorben ist und 1204 von der katholischen Kirche heiliggsprochen worden war.

Dabei stellt sich natürlich die generelle Frage, ob generell Personen, die vor dem Schisma von 1054 in Mittel- und Westeuropa gelebt haben und gestorben sind, auch als orthodoxe Heilige gelten können. Bei der Prüfung dieser Frage hat sich die Moskauer Synodale Kommission von folgenden Kriterien leiten lassen: ein untadeliges Bekenntnis zum orthodoxen Glauben; die Umstände, unter denen die Kanonisierung stattgefunden hat; das Fehlen der Erwähnung des Namens des Heiligen in polemischen Schriften gegen die Ostkirche und den östlichen Ritus; die gegenwärtige Verehrung in ausländischen Diözesen der Russischen Orthodoxen Kirche und den orthodoxen Ortskirchen.

Darüber hinaus wurde insbesondere der Bericht des hl. Bischofs Ioann (Maksimovic), der sich schon damals für eine Verehrung westlicher Heilige wie allgemein westlicher Traditionen in der Orthodoxie einsetzte, an die Bischofssynode der Russischen Kirche im Ausland 1952 berücksichtigt.

Es ist offensichtlich, dass das "magische Datum" von 1054 als alleiniges Kriterium nicht ausreicht, denn – um nur ein Beispiel von einigen zu nennen – die Teilnehmer der vom Frankenkönig Karl abgehaltene Synode von Frankfurt 794, als fränkische Antwort auf das II. Ökumenische Konzil von Nizäa gedacht, etwa wandten sich gegen das Konzil und lehnten dessen Horos zur Bilderver-ehrung ab. In ihrem Kapitular, dem Schlussdokument, wurden dann sowohl die Synode von Nizäa als auch die wieder eingeführte Bilderverehrung verurteilt – in orthodoxer Sicht eine eindeutige Häresie.

Insofern ist die Synodalkommission den richtigen Weg gegangen, damit durch eine sorgfältige Einzelprüfung der Fälle auch dem Westen gegenüber kritische orthodoxe Christen davon überzeugt werden, dass diese Heiligen des Abendlandes ebenfalls zu den "unsterblichen Blumen des Universums eingesammelt werden, die der ganze Weltkreis hervorgebracht, er, der von Urzeiten her durch die Ströme des Heiligen Geistes benetzt ist", wie es Kaiser Leon der Weise (886–911) in einer Rede auf alle Heiligen (PG 107,171-192) formuliert hat.

Von Nikolaj Thon
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