Beim Machtkampf zwischen Konstantinopel und Moskau in Sachen Ukraine und um die in der Weltorthodoxie tonangebende Rolle überhaupt hat sich Mitte Juli das Bestreben des Phanars abgezeichnet, das traditionell russlandfreundliche Patriarchat von Bulgarien auf seine Seite zu ziehen. Diese Annäherung droht nicht nur zu Lasten der Russischen Kirche, sondern noch mehr der Orthodoxen in Nordmazedonien zu gehen. Ihr künftiger Status ist auch nach dem Ende des Schismas von 1967 und Wiederherstellung der Gemeinschaft mit den "kanonischen" orthodoxen Patriarchen, Metropoliten und Erzbischöfen weiter umstritten.
Diese Gefahr für die Kirche von Skopje schien dem nordmazedonischen Regierungschef Dimitar Kovacevski bewusst zu sein, als er am 15. Juli beim Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. am Bosporus zu einem überraschenden Blitzbesuch eintraf. Die kirchliche Unabhängigkeit der Jahrhunderte lang zu Konstantinopel gehörenden Bistümer am oberen Vardar, die dieses dann 1920 an die neue orthodoxe Kirche Südslawiens abgetreten hatte, wurde ihnen schon vor über einem Jahr von diesem Serbenpatriarchat als ihrer - wenn auch nur kurzfristigen - Mutterkirche zugestanden, doch lässt man sich im Phanar mit Ausstellung des diesbezüglichen offiziellen "Tomos" (Dekret) noch immer Zeit. Was der mazedonische Metropolit Stefan Veljanovski angesichts des Zauderns von Bartholomaios I. zu fürchten beginnt, ist dessen sich öffnendes Ohr für die bulgarischen Abänderungswünsche zum Namen der neuen Kirche von Skopje.
In Sofia will man verhindern, dass die Orthodoxe Kirche in Nordmazedonien an das ehemalige (1018 bis 1767) Erzbistum von Ohrid anknüpft und dessen Namen trägt. Die Bulgaren betrachten es als ihre ureigene kirchliche Struktur. Soweit der Hintergrund für die plötzliche Vorsprache des mazedonischen Ministerpräsidenten im Phanar. Zu dieser Stunde war aber bereits dessen "Außenminister", Metropolit Emmanuil Adamakis von Chalkedon, in Bulgarien. In inoffiziellem Alleingang. Er wurde weder wie üblich von noch zwei Metropoliten begleitet. Noch gab der Phanar irgendeine Verlautbarung heraus. Wie aus den Medien in Sofia und Plowdiw hervorgeht, verhandelte Adamakis zur mazedonischen Namensfrage, zeigte sich aber vor allem bemüht, die Bulgarische Kirche aus ihrer traditionellen Anhänglichkeit an das Moskauer Patriarchat herauszulösen.
Bereits am 14. Juli hatte in Sofia Patriarch Neofit den Unterhändler vom Bosporus empfangen. An der Begegnung nahmen Führungskräfte des Patriarchats teil. Besondere Aufmerksamkeit fand die Anwesenheit der bulgarischen Gefolgsleute von Bartholomaios I., Boris und Yulianna Gurov. Beide sind Großunternehmer in Bulgarien und Österreich, die das Ökumenische Patriarchat nicht nur finanziell unterstützen. Sie haben dann auch weiter an der ganzen Bulgarienmission aus Konstantinopel teilgenommen.
In seiner Ankunftsadresse nannte Metropolit Emmanuil die bulgarische Orthodoxie "erstgeborene Tochter des Ökumenischen Patriarchats". Eine Titulatur, die bisher stets des ostslawischen Orthodoxen vorbehalten war. Tatsächlich begann die byzantinische Verkündigung bei den Bulgaren schon 870 unter Patriarch Photios, während die vielberufene "Taufe der Kiewer Rusj" erst 988 erfolgte.
Für den altersschwachen Patriarchen antwortete der Metropolit von Plowdiw, Nikolaj Sewastianow, und bekräftigte die guten Beziehungen zwischen Sofia und Konstantinopel. Tatsächlich hatte Neofit letzten Dezember den Nachfolger des als Gegner des Kriegs in der Ukraine abgesetzten Leiters des russischen kirchlichen Außenamtes, Hilarion Alfejew, den Metropoliten Antonij Sevrjuk, bei dessen Bulgarien-Besuch nicht empfangen, was einem Wink mit dem Zaunpfahl an die Adresse Moskaus gleichkam. Außerdem kam es zu pro-ukrainisch/antirussischen Kundgebungen vor der bis nach dem Zweiten Weltkrieg von Emigranten (ROCOR) verwalteten Nikolauskirche im Zentrum von Sofia, wo Metropolit Antonij Gottesdienst feierte. Nach bulgarischen Presseberichten wurden die Demonstranten so bedrohlich, dass Putins Botschafterin in Bulgarien, Eleonora Mitrofanowa, durch einen Hinterausgang aus der Kirche flüchten musste.
So war der Boden für eine Wiederannäherung von Phanar und bulgarischer Orthodoxie bereitet. In Sofia ist das Dankgefühl gegenüber den Russen, die 1877/78 die Bulgaren von Jahrhunderte langer türkischer Herrschaft befreit hatten, sichtlich verflüchtigt. Noch im Ersten und Zweiten Weltkrieg hatten sich Bulgariens "Zaren" - obwohl am Balkan Verbündete Deutschlands - geweigert, Russland und sogar dann der Sowjetunion den Krieg zu erklären. Seit dem Überfall Putins auf die Ukraine hat sich das Blatt jedoch endgültig gewendet. Das kam noch deutlicher am zweiten Tag des Adamakis-Besuches in Plowdiw zum Ausdruck. Er konzelebrierte mit Metropolit Nikolaj in Gorni Woden am Kloster Sveti Sveta Kirik i Yulita.
Im benachbarten Assenowgrad hatte 1189 der römisch-deutsche Kaiser Friedrich I. Barbarossa auf seinem Kreuzzug überwintert. Das Kloster der Hll. Kirykos und Julitta stand sogar während der osmanischer Zeit in großer Blüte, worauf im modernen bulgarischen Staat sein Niedergang einsetzte. Die Kommunisten verstaatlichten es, um daraus eine "Architektur-Akademie" zu machen, doch endeten diese großspurigen Pläne im Missbrauch für Schaf- und Schweinestallungen.
Erst der jetzige Metropolit von Plowdiw hat die Abtei wiedererrichtet und baulich saniert. Voll Stolz zeigte er diese Leistung seinem Gast aus dem Phanar. In der Festpredigt kam Nikolaj Sewastianow auf das Mysterium der unzerstörbaren Orthodoxie zu sprechen. Das liege in ihrer synodalen Struktur begründet. Sie kenne keine "Kommando-Zentrale" - so der Metropolit wörtlich, sondern sei auf Konsens, Dialog und Verständigung aufgebaut.
Kirchliche Beobachter sahen darin in erster Linie eine Kritik an der Befehlsgewalt des russischen Patriarchen Kyrill I. und seiner Gleichschaltung mit der Haltung des Kremls im Ukraine-Konflikt. Bulgariens kirchliche Nachrichten-Agentur Doxologia-Info erblickt darin auch eine versteckte Kritik an Vorgangsweisen von Bartholomaios I. als wäre er ein "Papst des Ostens" mit Unfehlbarkeit und gesamtorthodoxer Jusrisdiktionsgewalt.
Abgesehen von solchen Mutmassungen gingen dann ab Mittag die Verhandlungen über die bisherigen Differenzen zwischen Ökumenischem und Bulgarischem Patriarchat weiter. Metropolit Adamakis nannte es eine "heilige Pflicht" von Bulgariens Orthodoxie, die Kirchengemeinschaft mit dem neuen autokephalen Metropoliten Epifanij von Kiew aufzunehmen und nicht länger an seinem russophilen Gegenspieler Onufrij festzuhalten.
Schmackhaft gemacht werden soll das der bulgarischen Kirchenführung durch ein Entgegenkommen Konstantinopels in der Frage des mazedonischen Kirchennamens. Patriarch Neofit und sein Bischofssynod hatten die Orthodoxie von Skopje am 13. Dezember 2022 als autokephale "Orthodoxe Kirche in der Republik Nord-Nordmazedonien" und nicht wie von Bartholomaios I. gewünscht als "Erzbistum Ohrid" anerkannt. Diesen Titel wollen die Bulgaren für sich allein beanspruchen. Nun soll in Plovdiv der Metropolit von Chalzedon angeboten haben, die Orthodoxen von Skopje beim Gottesdienst nur kurz als Nord-Mazedonier zu kommemorieren, die Erwähnung von Ohrid jedoch in der "Phimi", der Gesamttitulatur des mazedonischen Metropoliten von Skopje, beizubehalten. Metropolit Emmanuil, der am 16. Juli wieder zurück in seiner Bischofsstadt Chalzedon (heute türkisch: Kadiköy) dem Sonntagsgottesdienst vorstand, war zu keinen weiteren Angaben über seine Bulgarienreise bereit.
Von Heinz Gstrein
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