PakistanChristen in Angst vor neuer Gewalt

Jaranwala sitzt tief im Gedächtnis der Christen in Pakistan. Am 16. August 2023 standen dort Kirchen in Flammen. Wütende Muslime plünderten Häuser christlicher Bewohner. Schutz für die Betroffenen gibt es bis heute nicht.

Pakistanische Flagge
© Pixabay

Zum ersten Jahrestag der Ausschreitungen von Jaranwala warten Christen in Pakistan noch immer auf Gerechtigkeit. „Häuser und Kirchen wurden wiederaufgebaut oder repariert", sagt Peter Jacob der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Der Direktor des Centre for Social Justice Pakistan in Lahore bemängelt aber, dass die herrschende Machtdynamik Versöhnung und Heilung verhindere.

Auslöser der Gewaltorgie am 16. August 2023 waren Anschuldigungen gegen zwei Christen in der Stadt Jaranwala in der Provinz Punjab; nach Angaben des Hilfswerks Open Doors sind in der Stadt 5.000 der mehr als 120.000 Einwohner christlichen Glaubens. Die beiden Männer wurden beschuldigt, Koran-Seiten entweiht zu haben. Das gilt als Blasphemie und ist im überwiegend islamischen Pakistan ein schweres Verbrechen, das mit dem Tod bestraft werden kann.

Die rechtsextremistisch-islamistische Partei Tehreek-i-Labbaik Pakistan rief über Lautsprecher der Moscheen zur Gewalt auf. Die Polizei schaute den Exzessen laut örtlichen Berichten tatenlos zu. Unter anderem wurden 26 Kirchen niedergebrannt, Bibeln geschändet. Der wütende Mob demolierte und plünderte auch zahlreiche Häuser von Christen.

Ein Christ in Pakistan zum Tode verurteilt

Seit den Ausschreitungen gibt es Bestrebungen, die Christen selbst für die Gewalt verantwortlich zu machen. Zwar wurden die beiden der Gotteslästerung beschuldigten Männer inzwischen entlastet. Aber im Juli wurde der 22 Jahre alte Christ Ahsan Raja Masih zum Tode verurteilt. Der Arbeiter einer Ziegelei habe mit dem Teilen blasphemischer Inhalte im Internet die religiösen Gefühle von Muslimen verletzt. Das habe die schweren Unruhen in Jaranwala ausgelöst, hieß es in dem Urteil.

Pakistanische Christen empfinden die Verurteilung als Schlag ins Gesicht. Die nach der Gewaltwelle festgenommenen 135 Personen sind von den Behörden inzwischen gegen Kaution freigelassen worden. Ein Prozess droht wohl nur wenigen von ihnen.

Auch auf politischer Ebene fehlt das Interesse an einer Aufarbeitung. Im September 2023 lehnte der Senat einen Antrag von fünf Senatoren der Pakistanischen Volkspartei für eine Debatte zur Gewalt in Jaranwala ab – wegen angeblicher formaler Unstimmigkeiten bei den Unterschriften.

Blasphemiegesetz schränkt Religionsfreiheit ein

Im Jahresbericht der US-Kommission für internationale Religionsfreiheit wird das Blasphemiegesetz Pakistans als einer der Hauptgründe für die fehlende Religionsfreiheit im Land genannt. Neben Anklagen wegen Blasphemie würden Christen Opfer von Lynchmorden und Zwangskonversionen. Auch komme es häufig zu Angriffen und Entweihungen von Gotteshäusern. „Blasphemiefälle und die damit verbundene Mobgewalt blieben eine erhebliche Bedrohung", heißt es.

Andere Probleme kommen hinzu: Etwa 4,5 Millionen Pakistaner arbeiten für Hungerlöhne in Ziegeleien. Schätzungen zufolge sind weit mehr als die Hälfte davon Christen. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, nehmen die Arbeiter oft zu extrem hohen Zinsen Kredite bei den Fabrikbesitzern auf. So geraten sie in eine generationenübergreifende Schuldknechtschaft.

400 Männer greifen Schuhfabrik-Besitzer an

Trotz der Erinnerungen an Jaranwala kommt es zu neuer Gewalt: Im Mai griffen laut Medienberichten 400 mit Schlagstöcken und Steinen bewaffnete Muslime den christlichen Besitzer einer Schuhfabrik in der Provinz Punjab an. Anfang Juni starb er an den schweren Verletzungen. Landesweit protestierten Christen gegen die andauernden Übergriffe.

Selbst wenn Blasphemie-Urteile offiziell aufgehoben werden, sind die Beschuldigten nicht sicher. Shagufta Kausar und ihr Mann Shafqat Emmanuel waren 2014 wegen Gotteslästerung zum Tode verurteilt worden. Nach Aufhebung des Urteils 2021 mussten sie zu ihrer Sicherheit Pakistan verlassen. Bei einer Pressekonferenz in Rom sagte Kausar im Juli: „Christen in Pakistan sind wie Schafe unter Wölfen – ohne Beschützer."

Von Michael Lenz
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