Das viereinhalbseitige Schreiben beginnt und endet mit dem Dank des Bischofs von Rom für den Einsatz der rund 3700 Priester in seinem Bistum. Das ist nicht nur Höflichkeit. Aus seinen früher häufigeren Besuchen in den Pfarreien der italienischen Hauptstadt weiß Franziskus: Die seelsorgliche und soziale Arbeit dort unterscheidet sich wenig von jener in anderen Großstädten. Gleichwohl solle die Kirche von Rom "für alle eine Vorbild des Mitgefühls und der Hoffnung sein".
Ihre Priester müssten stets und ständig bereit sein, den Menschen Gottes Vergebung und Erbarmen zu spenden. Und wieder einmal zitiert Franziskus ausführlich die Warnung des französischen Theologen Henri de Lubac (1896–1991) vor "spiritueller Weltlichkeit". Diese Art fassadenhafter Frömmigkeit sei "die größte Gefahr für die Kirche". Eine derartige, vorzugsweise, aber nicht nur von Klerikern gelebte Lebensweise reduziere Spiritualität auf Äußerlichkeiten.
Solche Menschen, so der Papst, hefteten sich an heilige Formen, denken und handeln aber "nach den Moden der Welt". Über drei komplette Seiten folgt eine Litanei unangemessener Einstellungen und Haltungen: "Verlockungen des Vergänglichen", "Mittelmäßigkeit und Gewohnheit", "Versuchungen der Macht und des sozialen Einflusses", "Eitelkeit und Narzissmus", "lehrmäßige Unnachgiebigkeit und liturgische Ästhetizismen".
Bei Seelsorgern, so der Papst, nehme "spirituelle Weltlichkeit" die besondere Form des Klerikalismus an. "Verzeihen Sie mir, wenn ich mich wiederhole", schreibt Franziskus. Als "alter Mann und von Herzen" wolle er seine Beunruhigung zum Ausdruck bringen, "wenn wir in die Formen des Klerikalismus zurückfallen; wenn wir, vielleicht ohne es zu merken, den Menschen zeigen, dass wir überlegen, privilegiert, 'höher' gestellt und daher vom Rest des heiligen Volkes Gottes getrennt sind".
Als Gegengift zum Klerikalismus setzt der Papst auf persönliche und seelsorgerische Umkehr und eine Lebensweise nach dem Vorbild Jesu. "Krempeln wir die Ärmel hoch und beugen wir die Knie (wer kann!)", schreibt er - wohl unter Anspielung auf sein eigenes Knieleiden. "Beten wir zum Heiligen Geist für einander, bitten wir ihn, uns zu helfen."
Franziskus hofft, so scheint es, mit solcherart gelebtem Priestersein, einerseits Klerikalismus zu überwinden und gleichzeitig die laut katholischer Lehre von Jesus eingesetzten Ämter in der Kirche zu bewahren. Ohne das dreigeteilte Amt und die Ordensgemeinschaften verlöre die katholische Kirche für sie wesentliche Züge. Und würde zu einer von Franziskus mehrfach abgelehnten zweiten protestantischen Kirche.
In seinen Ausführungen über das Verhältnis von Priestern zu Gläubigen verwendet der Papst zudem immer wieder das Bild vom Hirten und seiner Herde. Eine zwar biblische und noch immer anschauliche Metapher, die aber vielfach als überholt und wiederum klerikal kritisiert wird.
Ganz anders sind Ansatz und Redeweise des Synodalen Weges zu dem Thema. Klerikalismus, so heißt es im Grundtext "Priesterliche Existenz heute", sei eine "Fehlform des priesterlichen Weiheverständnisses", die vor allem bei der Aufarbeitung von Missbrauch "in den Blick zu nehmen" ist. Als "dominanter Habitus von Priestern" sei er "missbrauchsgefährdend".
Zwar erfolgt ein Verweis auf das Bemühen des Papstes, Klerikalismus durch Synodalität zu überwinden. Wie viel radikaler und weitreichender der Synodale Weg denkt, zeigen Formulierungen wie "innenblindes Regime monopolisierter männlich-zölibatärer Sakralmacht". Zur "Korrektur des Machtgefälles und der männerbündischen Strukturen" in der Kirche brauche es "die Öffnung der Weihezulassung und den verstärkten Einsatz in leitenden Funktionen nicht nur für Männer".
Im Grundtext zu Frauen in der Kirche wird eine Reform des kirchlichen Amtes nicht nur wegen des Klerikalismus, sondern auch "im Hinblick auf Frauen im (sakramentalen) Amt" gefordert. Als Anregung an die Weltkirche formulierte der Synodale Weg einen Handlungstext zu Chancen einer pluralen Ämterstruktur.
Gegen Klerikalismus fordert der Papst persönliche Verhaltensänderungen, der Synodalen Weg hingegen strukturelle Änderungen. Offener hingegen formuliert das Arbeitsdokument zur Vollversammlung der Weltsynode im Oktober. Klerikalismus sei eine Kraft, "die eine gesunde und voll und ganz dienstamtliche Kirche isoliert, trennt und schwächt". Zudem sei sie nicht nur "eine Eigenheit geweihter Amtsträger", sondern wirke "auf unterschiedliche Weise in allen Teilen des Gottesvolkes".
Aufgabe der Synode sei es daher, "gemeinsam zu unterscheiden, inwieweit der Klerikalismus von geweihten Amtsträgern und Laien verhindert" werden könne. Zur Vorbereitung wird den Synodenteilnehmenden unter anderem die Frage vorgelegt: Welche Formen des Klerikalismus gibt es weiterhin in der christlichen Gemeinschaft? Wie lässt sich eine immer noch bestehende Distanz zwischen gläubigen Laien und Pfarrern überwinden? Welche Arten, Autorität und Verantwortung auszuüben, "müssen überwunden werden, da sie nicht zu einer konstitutiv synodalen Kirche passen?"
Auch wenn empfohlen wird, über neue und andere Formen kirchlicher Dienste nachzudenken, bleibt als konkretester Ansatzpunkt für Veränderungen die Ausbildung von Priestern und anderen Mitarbeitern. Denn Unzufriedenheit und Ärger gebe es, wenn Autoritäten Entscheidungen ohne vorherige Konsultationen treffen. In gemeinsamen Entscheidungsprozessen sollten vor allem Kompetenzen von Fachleuten sowie speziell Erfahrungen von Frauen, Jugendlichen, Minderheiten, Armen und Ausgegrenzten einfließen.
Theologisch formuliert ist dies der "Wunsch nach einer auch in ihren Institutionen, Strukturen und Verfahren immer synodaler werdenden Kirche, so dass ein Raum gebildet wird, in dem die gemeinsame Taufwürde und Mitverantwortung (...) ausgeübt und praktiziert werden." Autorität in der Kirche werde dann geschätzt, wenn sie ausgeübt werde "nach dem Vorbild Jesu, der sich niederkniete, um seinen Jüngern die Füße zu waschen".
Von Roland Juchem
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