Patchwork, gleichgeschlechtliche Ehen, offene Partnerschaften: Das Zusammenleben von Familien und das Verständnis davon, was Familie überhaupt ist, wandeln sich in rasanter Weise. Zugleich wachsen Konflikt- und Streitpotenziale, wer die rechtliche Verantwortung übernimmt und wie das Kindeswohl am besten gesichert werden kann.
Bislang gilt im deutschen Familienrecht dabei ein eherner Grundsatz: Ein Kind kann und darf nur zwei rechtliche Elternteile haben. Dieser lange unverrückbare Grundsatz könnte nun ins Wanken geraten. Denn das Bundesverfassungsgericht hat seine am Dienstag veröffentlichte Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde überraschend dafür genutzt, einen Weg hin zur rechtlichen Anerkennung von Mehr-Eltern-Familien anzudeuten. Die Richter des Ersten Senats unter Vorsitz von Gerichtspräsident Stephan Harbarth schreiben allerdings diese Öffnung keineswegs zwingend vor. Es könnte auch beim klassischen Zwei-Eltern-Modell bleiben. Dann müsste (nur) die rechtliche Position der leiblichen Väter gestärkt werden.
Das Verfassungsgericht legt dar, dass weder das Kindeswohl noch das Grundgesetz einer Öffnung für Mehr-Eltern-Konstellationen entgegenstehen würden. Damit ist die Tür offen. Und die aktuelle Regierung muss entscheiden, ob sie durchgehen wird.
Dabei haben die Richterinnen und Richter den Gesetzgeber zu einer schnellen Entscheidung verpflichtet. Sie haben bestimmte Details zur Regelung der Klagerechte auf Gewährung der rechtlichen Vaterschaft für verfassungswidrig erklärt. Diese Regelungen in Paragraf 1600 des Bürgerlichen Gesetzbuchs müssen bis spätestens zum 30. Juni 2025 neu geregelt werden.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) begrüßte das Urteil. Es sei Rückenwind für seine Reformpläne beim Abstammungsrecht. Sein Ministerium wolle dazu bald einen Entwurf vorlegen. Das Elternrecht auf mehr als zwei Elternteile auszuweiten, sei aus seinem Haus derzeit jedoch nicht geplant. „Wir wollen eine Reform, aber keine Revolution", erklärte Buschmann in Berlin.
Konkret ging es in Karlsruhe um die Verfassungsbeschwerde eines Mannes aus Sachsen-Anhalt. Er erhielt am Dienstag weitgehend Recht. Der Kläger ist leiblicher Vater eines heute drei Jahre alten Kindes und sah seine Elternrechte verletzt. Denn die Mutter, mit der er nicht verheiratet war, weigert sich, ihn als rechtlichen Vater anzuerkennen. Die Frau trennte sich unmittelbar nach der Geburt von ihm und ließ den neuen Lebenspartner als rechtlichen Vater eintragen. Der leibliche Vater darf sein Kind nur alle zwei Wochen für drei Stunden sehen.
„Ich freue mich über das Urteil des Verfassungsgerichts. Es stärkt die Position von leiblichen Vätern. Zugleich ist es für mich belastend, weil ich nun auf eine gesetzliche Neuregelung warten muss. Erst dann könnte ich endlich rechtlicher Vater werden und damit gemeinsam mit der Mutter über wesentliche Fragen im Leben meines Sohnes mitentscheiden", sagte der Beschwerdeführer nach der Urteilsverkündung in Karlsruhe.
Er sei auch grundsätzlich dazu bereit, die Verantwortlichkeiten auf drei Personen aufzuteilen und damit den neuen Partner der Mutter einzubeziehen. Seine Rechtsanwältin Franziska Köpke erwartet allerdings in der Praxis erhebliche Probleme. „Schon wenn zwei Elternteile um die Elternschaft und Verantwortlichkeiten ringen, wird es schwierig. Das dürfte mit drei oder mehr Beteiligten nicht leichter werden. Und im Mittelpunkt muss immer das Kindeswohl stehen."
Auch die Verfassungsrichter sind sich dieser praktischen Einwände bewusst. Daher fordern sie in der Urteilsbegründung für den Fall einer gesetzlichen Öffnung zu Mehr-Eltern-Familien genaue Detailregelungen. So müssten die jeweiligen Rechte und Pflichten gegenüber dem Kind zwischen Mutter und zwei Vätern „klar und eindeutig" zugewiesen werden. Dabei könne es durchaus zu Abstufungen und Kompetenzverteilungen geben. Wie das in der Praxis bei streitenden Elternteilen geregelt werden kann, ist allerdings offen.
In diese Richtung argumentierte auch der Anwalt der Kindsmutter, Dirk Siegfried. „Ich bin grundsätzlich für eine rechtliche Stärkung von Mehr-Eltern-Familien. Aber doch nicht in Fällen, in denen es zwischen den Beteiligten zu keiner Einigung kommt."
Spannend dürfte auch werden, wie der Gesetzgeber den Denkanstoß aus Karlsruhe im Blick auf gleichgeschlechtliche Paare oder Mehr-Eltern-Konstellationen aufnimmt. Dies war explizit kein Gegenstand der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde. Wenn es aber eine rechtliche Öffnung für Drei-oder-mehr-Eltern-Familien geben sollte, wird der Gesetzgeber wohl auch Konstellationen jenseits von traditionellen Familienformen in den Blick nehmen müssen.
Von Volker Hasenauer
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