Russland hat der Ukraine im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erneut eine Verletzung der Religionsfreiheit vorgeworfen. Auf Antrag Moskaus diskutierte das mächtigste UN-Gremium Ende Juli über die Lage des orthodoxen Christentums in der Ukraine. Bereits im Januar hatte der Kreml das Thema auf die Agenda gesetzt.
Als Redner bot er damals den Außenamtschef der russisch-orthodoxen Kirche, Metropolit Antonij, auf, der per Videoschaltung die Regierung in Kiew beschuldigte, die ukrainisch-orthodoxe Kirche (UOK) zu zerstören. Die UOK hatte sich indes im Mai 2022 vom Moskauer Patriarchat losgesagt und für unabhängig erklärt. Zudem mahnte sie die russisch-orthodoxe Kirche, nicht in ihrem Namen zu sprechen.
Diesmal wollte Russlands Vertretung bei den Vereinten Nationen einen emeritierten Bischof der UOK und den ukrainischen Journalisten Jan Taksjur im Sicherheitsrat sprechen lassen. Doch schon darüber kam es zum Streit. Großbritannien, das im Juli den Vorsitz in dem UN-Gremium inne hatte, wollte wegen des "engen Zeitplans", dass einer der beiden nur einen schriftlichen Redebeitrag einreicht. Außerdem habe man schon fünf von Russland nominierte Personen zu Wort kommen lassen, die nicht für die Vereinten Nationen arbeiteten.
Moskaus Vize-UN-Botschafter Dmitri Poljanski protestierte. Die Welt sehe jetzt, wie das Vereinigte Königreich die Teilnahme eines Vertreters eines wichtigen internationalen Glaubens behindere. Poljanski scheiterte aber mit seinem Antrag. Nur Brasilien, China und Russland befürworteten, dass Bischof Gedeon spricht.
Er war im September 2018 zum Bischofs geweiht worden, konnte dieses Amt aber nur kurz ausführen. Als er im Februar 2019 von den USA nach Kiew flog, verweigerte ihm die Ukraine die Einreise und entzog ihm den Pass. Begründung: Er besitze illegaler Weise neben der ukrainischen Staatsbürgerschaft noch eine andere und unterstütze die russische Aggression gegen die Ukraine. Später sprach ihm dann ein Gericht die ukrainische Staatsbürgerschaft doch zu. Die UOK versetzte Gedeon im März 2023 aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand.
Russland reagierte auf seine Niederlage im Sicherheitsrat verärgert. Poljanski lehnte es ab, dass Gedeon einen schriftlichen Beitrag vorlegt. Nur Taksjur trat auf. Poljanski warf der Ukraine vor, die UOK verbieten und ihr Eigentum beschlagnahmen zu wollen. Das Parlament in Kiew würde am 27. Juli über ein entsprechendes Gesetz abstimmen.
Das stimmte zwar nicht. Aber tatsächlich legte die ukrainische Regierung im Januar einen Gesetzentwurf vor, laut dem es keine Pfarreien und andere religiöse Organisationen geben darf, die zu "Einflusszentren" in einem Land gehören, das eine bewaffnete Aggression gegen die Ukraine durchführt. Wann es im Parlament zur ersten Lesung des Gesetzentwurfs kommt, ist noch unklar.
Als UN-Repräsentantin sprach in der Sitzung des Sicherheitsrats die Direktorin der Allianz der Zivilisationen der Vereinten Nationen (UNAOC), Nihal Saad. Wie UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte sie, dass eine russische Rakete die Kathedrale der UOK in Odessa getroffen und schwer beschädigt habe.
Die Unesco stellte nach ihren Worten seit 24. Februar 2022 bereits an 116 Religionsstätten in der Ukraine Kriegsschäden fest. Die Zerstörung von Gotteshäusern schüre Haas und trage zu weiteren Feindseligkeiten bei, so Saad. "Ein Angriff auf Gotteshäuser trifft den Kern des Identitäts- und Zugehörigkeitsgefühls von Gemeinschaften."
Sie betonte zudem: "Die Einschränkungen der Religionsfreiheit und der Sicherheit von Mitgliedern religiöser Gemeinschaften in der gesamten Ukraine, sowohl in den von der Regierung kontrollierten als auch in den von der Russischen Föderation besetzten Gebieten, geben Anlass zu großer Sorge."
Sie verwies auf Durchsuchungen in Kirchen und anderen Einrichtungen der UOK und darauf, dass einige Geistliche unter Hausarrest gestellt wurden, "darunter einer der wichtigsten Hierarchen der UOK, auf der Grundlage von wenig oder gar keinen Beweisen". Sie spielte damit auf Metropolit Pawlo ab.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Vorsteher des Kiewer Höhlenklosters vor, er habe Russlands Krieg gegen die Ukraine gerechtfertigt. Das ukrainische Kulturministerium habe den Mietvertrag mit der UOK für das Höhlenkloster vorzeitig gekündigt. Auch viele Kommunen versuchten, der Kirche Gotteshäuser zu entziehen. "Daher befürchten wir, dass die kumultativen Auswirkungen der Maßnahmen der Regierung gegen die UOK diskriminierend sein könnten", so Saad.
Besorgniserregend sei auch die Zunahme von Hassreden und mehreren gewalttätigen Vorfällen gegen UOK-Mitglieder. Regierung und Strafverfolgungsbehörden seien einerseits nicht wirksam gegen solche Vorfälle vorgegangen. Anderseits hätten russische Streitkräfte in den von ihnen besetzten ukrainischen Gebieten griechisch-katholische und protestantische Geistliche und Gläubige inhaftiert, gefoltert und deportiert, berichtete sie. Die russischen Besatzungsbehörden hätten etwa drei Gotteshäuser der Baptistengemeinde in Melitopol durchsucht, geplündert und geschlossen.
Saad appellierte an Russland und die Ukraine, die grundlegenden Menschenrechte zu respektieren und zu wahren, einschließlich der Religions- und Glaubensfreiheit und des Rechts, seine Religion frei und sicher zu bekennen und auszuüben. Kiews UN-Botschafter Serhij Kyslyzja beschuldigte Moskau, den Sicherheitsrat für Propaganda zu missbrauchen, um den Krieg gegen die Ukraine zu rechtferigen. Er zitierte Metropolit Agafangel aus Odessa, dessen Kathedrale schwer beschädigt wurde, mit den Worten: "Das ist ein echter Völkermord am ukrainischen Volk."
Von Oliver Hinz
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