US-Elite-Universität Harvard in der KriseErste schwarze Präsidentin hält sich nur ein halbes Jahr

Rücktritt nach Antisemitismus- und Plagiatsvorwürfen. Die erste schwarze Präsidentin der berühmten Harvard-Universität, Claudine Gay, trat in Rekordzeit von ihrem Amt zurück.

Harvard Metro-Station
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Das Jubelgeheul über den Rücktritt der Harvard-Präsidentin war mindestens so laut wie die Kritik an ihr. Claudine Gay war erst im Juli an die Spitze der berühmten Elite-Universität aufgestiegen – damals noch gefeiert von weiten Teilen der US-Gesellschaft. Nun steht die Hochschule, die lange als beste Uni der Welt galt, vor einem Trümmerhaufen. Der Ruf ist ramponiert, die Spenden gehen zurück, die Bewerberzahlen ebenso. Aber wie konnte es dazu kommen?

Republikanische Politiker und konservative Kommentatoren machen Gay dafür verantwortlich. Die Demission der 53-Jährigen nach einem monatelangen, öffentlich ausgetragenen Meinungskampf werten sie als wichtigen Sieg. Es begann mit einem unglücklichen Auftritt vor dem Kongress bei einer Anhörung zu Antisemitismus an Hochschulen. Dabei konnte sich die Politologin nicht dazu durchringen, den Hamas-Terror gegen Israel eindeutig zu verurteilen. Später kamen zu allem Überfluss immer neue Plagiatsvorwürfe hinzu.

Mehrere Aktivisten publizierten in den vergangenen Wochen entsprechende Belegstellen. Harvard leitete daraufhin eine Überprüfung in die Wege, bei der tatsächliche einige Ungereimtheiten und Regelverstöße zutage kamen. Keine gute Referenz für die Chefin der besten Universität der Welt. Die öffentliche Meinung schlug Stück für Stück um, Gay verlor zusehends an Rückhalt.

Inmitten des anhaltenden US-Kulturkampfes blieb die Kritik freilich nicht immer sachlich. Etliche Gay-Gegner nutzten die Empörungswelle, um mit der missliebigen „Woke-Agenda" der einflussreichen Unipräsidentin abzurechnen. Elise Stefanik, die Gay mit der scharfen Befragung im Repräsentantenhaus in die Ecke getrieben hatte, begrüßte unlängst den Rücktritt der „antisemitischen Plagiats-Präsidentin". Dieser sei längst überfällig, erklärte die enge Verbündete Donald Trumps, die selbst einen Harvard-Abschluss hat.

„Ich bin froh, dass sie weg ist", triumphierte der konservative Aktivist Christopher Rufo, ein Anhänger des republikanischen Präsidentschaftsbewerbers Ron DeSantis. Der Gouverneur von Florida ernannte ihn Anfang 2023 zum Mitglied des Kontrollgremiums für das renommierte New College. Die Entscheidung, Gay an die Spitze von Harvard zu berufen, sei das Ergebnis „des Giftes der DEI-Idelogie gewesen", meint Rufo, der ebenfalls ein Harvard-Absolvent ist. Das Kürzel DEI steht übersetzt für Vielfalt, Fairness und Inklusion.

Star-Investor Bill Ackman, Milliardär und Harvard-Großspender, sieht das ähnlich. Am Mittwoch veröffentliche er auf der Plattform X ein langes Traktat, in dem er hart mit Gay ins Gericht geht: „Sie verfügte nicht über die Führungsqualitäten, die man als Harvard-Präsidentin braucht. Und sie schob alle Fragen zu ihren akademischen Qualifikationen beiseite."

Ackman wirft der Harvard-Leitung überdies vor, auf dem Campus eine schlechte Lernumgebung geschaffen zu haben. Linke Ideologien und Gleichmacherei hätten den Ruf der Hochschule nachhaltig beschädigt. Es sei an der Zeit, wieder zum Leistungsprinzip zurückzukehren, vor allem bei der Auswahl des Spitzenpersonals. Mit Blick auf Gay betonte er: „Eine dunklere Hautfarbe, eine weniger verbreitete sexuelle Identität und/oder eine Frau zu sein bedeutet nicht zwangsläufig, dass man unterdrückt oder gar benachteiligt wird."

Besonders den desaströsen Auftritt vor dem Kongress am 5. Dezember nehmen Ackman und andere Kritiker Gay übel. Auf die Frage, ob der Aufruf zum Völkermord an Juden gegen die Regeln von Harvard verstoße, antwortete sie, das hänge vom "Kontext" ab. Alle Versuche, dies später in einen angemessenen Zusammenhang zu stellen, blieben erfolglos. Auch das Simon Wiesenthal Center und andere jüdische Organisationen begrüßten letztlich ihren Rücktritt.

Einige Stimmen wie der Harvard-Wissenschaftler Khalil Gibran Muhammad sprechen dagegen von einem „schrecklichen Moment". „Die Republikaner haben Krieg gegen die Unabhängigkeit von Colleges und Universitäten erklärt", klagt der auf das Verhältnis der Ethnien in den USA spezialisierte Historiker. „Der Rücktritt Gays wird sie nur ermutigen", so sein Fazit.

Die Betroffene selbst räumte in ihrem Demissionsschreiben zwar Fehler ein, stellte sich aber zugleich als Opfer einer rassistischen Kampagne dar. Sie trete nach Rücksprache mit der Leitung schweren Herzens zurück, damit die Universität „diese außergewöhnliche Herausforderung" meistern könne. Trotz des Rücktritts ist Gays Karriere in Harvard nicht beendet: Sie wird auch in Zukunft dem Lehrteam der Hochschule angehören.

Von Bernd Tenhage
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