Diesmal geht es vor dem obersten Gericht der USA um Leben und Tod schwangerer Mütter. Sprichwörtlich. Genauer gesagt beschäftigt sich der Supreme Court mit der Frage, ob Krankenhausärzte bei Frauen in medizinisch lebensbedrohlichen Lagen nach nationalem Recht Schwangerschaftsabbrüche durchführen oder sich an bestehende Verbote in ihren Bundesstaaten halten müssen. Am vergangenen Freitag akzeptierte das Gericht einen Antrag des Bundesstaates Idaho, den Streit beschleunigt zu klären.
Damit überspringt der Supreme Court eine Verhandlung vor dem 9. Bundesberufungsgericht in San Francisco, das zuvor das fast vollständige Abtreibungsverbot von Idaho ausgesetzt hatte. Dieses Verbot ist jetzt bis zur endgültigen Klärung des Supreme Court wieder in Kraft. Einen Grund für die Annahme des Eilantrags nannte das Gericht nicht. Nach Ansicht von Beobachtern dürfte eine Rolle gespielt haben, dass das 5. Bundesberufungsgericht in einem parallelen Verfahren das Abtreibungsverbot des Bundesstaates Texas aufrechterhalten hatte.
Einmal mehr geht es um die Grundfrage, wer beim Thema Abtreibung in den USA entscheidet: die Bundesstaaten oder der nationale Gesetzgeber in Washington. Beim nationalen Recht handelt es sich um das „Bundesgesetz über die Notfallversorgung" von 1988. Es schreibt Krankenhäusern, die Geld aus der staatlichen Alterskrankenversicherung „Medicare" erhalten, verpflichtend vor, Patienten in der Notaufnahme eine "notwendige stabilisierende Behandlung" zukommen zu lassen. De facto betrifft das sämtliche Krankenhäuser, die auch Menschen im Alter von 65 Jahren und mehr behandeln.
US-Gesundheitsminister Xavier Becerra hatte die Krankenhäuser im Mai an diese Pflicht erinnert. Frauen in medizinischen Notlagen müssten behandelt werden - gegebenenfalls auch unter Missachtung bestehender Abtreibungsverbote in einzelnen Bundesstaaten. Dagegen hatten sowohl Texas als auch Idaho geklagt.
Bei dem jetzt angenommenen Fall in Idaho hatte Bundesrichter Lynn Winmill befunden, dass sich Ärzte in einer Konfliktsituation befänden. Wenn sie einer Schwangeren in medizinischer Notlage mit einer Abtreibung helfen, riskierten sie „eine Strafanklage, Festnahme, Untersuchungshaft, Verlust der Ärztelizenz, einen Strafprozess und mindestens zwei Jahre Gefängnis". Falls sich der Arzt gegen eine Hilfestellung entscheide, könnte dies zu ernsten Konsequenzen führen; von Amputationen über bleibende Organschäden bis zum Tod.
Die Justiziarin von Idaho (oberste Prozessvertreterin der Regierung vor dem Supreme Court), Elizabeth Prelogar, erklärte in ihrem Eilantrag, ein Arzt dürfe nach dem Recht des Bundesstaates erst dann eine Abtreibung durchführen, wenn sich der Zustand einer Schwangeren „so verschlechtert hat, dass eine Abtreibung notwendig ist, um ihr Leben zu retten".
Katie Daniel von der Pro-Life-Organisation „Susan B. Anthony List" sieht das ähnlich. Es gebe „keinen Grund, Ärzte zu zwingen, gegen ihr besseres medizinisches Wissen Abtreibungen durchzuführen". Dagegen erklärte die demokratische Senatorin Patty Murray, jeder US-Amerikaner sollte „empört" sein über das Vorgehen der republikanischen Gesetzgeber. Es liege am Kongress in Washington, landesweit dafür zu sorgen, dass diese Entscheidungen zwischen Frauen und ihren Ärzten getroffen werden.
Eigentlich wollte der Supreme Court die Abtreibungsgesetze den 50 Bundesstaaten überlassen. Genau das war das zentrale Argument der neun Richter, die im Juli 2022 mit der Annullierung des Grundsatzurteils „Roe v. Wade" von 1973 ein halbes Jahrhundert Rechtsprechung zu Abtreibung auf den Abfallhaufen der Geschichte warfen (vgl. HK, Februar 2022, 11-12).
Mit der Annahme des neuen Falls und eines zweiten, der sich mit dem nationalen Zugang zu Präparaten zum Schwangerschaftsabbruch befasst, kommt der Supreme Court jetzt in jene Lage, die er vermeiden wollte: mangels eines nationalen Abtreibungsrechts einheitliche Regeln zu formulieren. Die Anhörungen werden für April und eine Entscheidung für Juni erwartet.
Von Thomas Spang
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