"Wir bitten Eure Heiligkeit, dass Sie Ihre Macht, Ihre Kraft einsetzen, um die Geiseln freizubekommen", appellierte der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder, an Papst Franziskus. Er fuhr fort: "Sie sind vielleicht der einzige Mensch, der die moralische Autorität hat, das zu tun." Diese Bitte und die Tatsache, dass Lauder den Papst am 19. Oktober eigens dafür im Vatikan aufsuchte, werfen ein Licht auf die Rolle, die dem Heiligen Stuhl bei dem Konflikt im Nahen Osten zugemessen wird. Es geht darum, Lösungen zu sondieren – und Bündnispartner zu finden.
Freilich steht mit der jüngsten Eskalation auch für den Heiligen Stuhl einiges auf dem Spiel. Der überragende Teil seiner Gläubigen in der Region lebt als Minderheit in arabischen Ländern (einschließlich der Palästinensergebiete) und ist in gewisser Weise auf das Wohlwollen der jeweiligen Regierung angewiesen. Auf der anderen Seite kann der Vatikan es sich nicht leisten, am Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels auch nur andeutungsweise Zweifel aufkommen zu lassen. Außerdem hat er mit der israelischen Regierung delikate besitz- und steuerrechtliche Fragen hinsichtlich katholischer Einrichtungen offen. Alles, was nach Parteinahme aussieht, droht der katholischen Kirche auf die Füße zu fallen.
Wenn es um die Bewertung der Situation vor Ort geht, hat das vatikanische Staatssekretariat zunächst seinem Nuntius Adolfo Tito Yllana; der hat allerdings im Februar sein Rücktrittsalter erreicht und schon einen Teil seiner Aufgaben abgegeben. Des weiteren sind das Lateinische Patriarchat in Jerusalem und die Kustodie des Franziskanerordens Informationsgeber für den Heiligen Stuhl. Vergangenen Freitag rief der Papst am Rande der Synode in Rom die dort anwesenden Kirchenführer aus dem Libanon zu einem Gespräch zusammen; Inhalte wurden nicht mitgeteilt, aber es dürfte auch um die Lage in der Region gegangen sein.
Als wohl einziger auswärtiger Dienst weltweit verfügt der des Papstes über eigene Mitarbeiter aus praktisch allen Ländern, mit denen er in Kontakt steht. Das verschafft ihm ein besonderes Ansehen unter Diplomaten. Ebenso pflegt der Heilige Stuhl gerade wegen des Fehlens wirtschaftlicher, politischer oder gar militärischer Druckmittel das Image als uneigennütziger, ehrlicher Makler – mit durchaus beachtlichen Erfolgen wie bei der Entschärfung der Kuba-Krise 1962, als die Welt am Rand eines Atomkriegs stand.
Zugleich sind die personellen und analytischen Ressourcen im Staatssekretariat arg begrenzt, weshalb päpstliche "Friedensmissionen" wie in der Ukraine aus Sicht anderer Diplomaten eher aufgrund ihres Symbolwerts zu schätzen sind. Wegen der vergleichsweise ärmlichen Mittel des Vatikans griffen ihm in der Vergangenheit ausländische Geheimdienste wie die CIA unter die Arme, indem sie wichtige Informationen teilten. Ob diese nachrichtendienstliche Diakonie auch in den aktuellen Krisenlagen fortbesteht, ist nicht bekannt.
Ein Erfolgsfaktor der päpstlichen Diplomatie ist die Diskretion. Deswegen riecht es nach Eigeninteressen, wenn Kontakte auf Regierungsebene mit dem Heiligen Stuhl von den betreffenden Staaten publik gemacht werden. Das ist der Fall bei einem Telefonat, das der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vergangenen Donnerstag mit dem Papst über die Lage in Nahost führte. Erdogan sammelt mit seiner Rolle in Syrien, bei der NATO-Erweiterung, im Ukraine-Krieg und im Südkaukasus-Konflikt sowohl im Westen wie auch bei vielen Staaten des Nahen Ostens keine Sympathiepunkte, versucht sich aber umso mehr als Schlüsselpartner zu inszenieren.
Als der päpstliche Chefdiplomat, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, von Journalisten zu diesem Anruf (und zu einem Telefonat zwischen Franziskus und US-Präsident Joe Biden) befragt wurde, antwortete er, er kenne keine Einzelheiten. Manche deuteten das als Verkühlung zwischen dem Papst und seinem ranghöchsten Mitarbeiter. Es kann aber auch heißen: War nicht so wichtig. – Die Türkische Botschaft in Rom beim Heiligen Stuhl ließ eine Bitte um Erläuterung der Initiative unbeantwortet.
Ähnlich wandte sich Irans Außenminister Hussein Amirabdollahian mit einem Brief und dann noch einmal fernmündlich an seinen Amtskollegen im Vatikan. Laut iranischen Medien erklärte Amirabdollahian, es sei die Pflicht aller abrahamitischen Religionen, Recht und Leben des palästinensischen Volkes zu verteidigen; er beschwor die "Einigkeit von Muslimen, Christen und Juden im Kampf gegen die Verbrechen des zionistischen Regimes". Das vatikanische Presseamt beschränkte seine Angaben zu dem Gespräch auf die Mitteilung, Erzbischof Paul Richard Gallagher habe die Sorge des Heiligen Stuhls über die Geschehnisse zum Ausdruck gebracht sowie die Notwendigkeit einer Deeskalation und einer Zwei-Staaten-Lösung bekräftigt.
Traditionell bemüht sich der Vatikan, Gesprächskanäle nach allen Seiten offenzuhalten. So vermied es der Papst im Ukraine-Krieg fast peinlich lang, Russland als angreifenden Staat zu benennen. Auch jetzt brachte Franziskus noch nach drei Wochen kein einziges Mal "Hamas" oder "Terrorangriff" über die Lippen, ebenso wenig einen Satz zu völkerrechtlichen Verpflichtungen Israels.
Jedes Wort, jede Geste scheint die Gefahr einer Vereinnahmung zu bergen. Laut italienischen Medien versuchte die Botschaft Israels beim Heiligen Stuhl, ein Treffen von Angehörigen der israelischen Hamas-Geiseln mit Franziskus zu arrangieren. Das hätte zweifellos starke Bilder gegeben. Die Begegnung fand nicht statt – wegen Terminproblemen aufseiten des Papstes, wie es hieß.
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn relativierte die Friedensvermittler-Funktion der EU mit dem Wortspiel, Europa sei in der Nahostpolitik kein "Player", kein echter Akteur, sondern nur "Payer" – Zahlender. Entsprechend bleibt dem Papst als ureigenste Rolle am Ende das Gebet: Prayer.
Von Burkhard Jürgens
© KNA. Alle Rechte vorbehalten.