Inmitten der Nachwirkungen des plötzlichen Todes von Benedikt XVI. und den darauffolgenden Debatten ging ein zukunftsweisendes Ereignis im Vatikan beinahe unter. Auf Einladung von Erzbischof Vincenzo Paglia und der Päpstlichen Akademie für das Leben waren Delegationen aus mehreren globalen Unternehmen und Religionsgemeinschaften nach Rom gekommen, um über ethische Implikationen und Grenzen von Künstlicher Intelligenz (KI) zu debattieren. Am Ende unterzeichneten sie eine gemeinsames Dokument, das Englisch als AI Ethics (Deutsch: KI-Ethik) überschrieben ist.
Es ist das zweite Grundsatzdokument eines als "Rome Call" bezeichneten Formats, das erstmals im Februar 2020 unmittelbar vor Ausbruch der Corona-Pandemie im Vatikan zusammenkam. Es umfasst so unterschiedliche Player wie Brad Smith von Microsoft, Dario Gil von IBM und den Chef-Volkswirtschaftler der FAO, Maximo Torero Cullen. Erstmals mit dabei waren diesmal auch Delegationen des Judentums und des Islam.
Gemeinsamer Bezugspunkt für die Debatten sind die grundlegenden Aussagen von Papst Franziskus in der Enzyklika "Fratelli Tutti" (2020) zur Digitalität. Zwar spricht der Papst dort das Thema KI noch nicht explizit an, wägt aber ganz grundsätzlich die Chancen und Gefahren der digitalen Kommunikation und der sozialen Netzwerke ab.
Als institutionelle Grundlage hat Papst Franziskus im April 2021 auf Vorschlag von Paglia die "RenAIssance Foundation" ins Leben gerufen. Sie ist mit eigenständigem kirchenrechtlichem Status an der Päpstlichen Akademie für das Leben angesiedelt, gilt als "Non Profit Organisation", und ist berechtigt, Spendengelder einzuwerben. Die Stiftung soll "anthropologische und ethische Reflexion über die neuen Human-Technologien fördern" und mit internationalen Organisationen, Staaten, Universitäten und Unternehmen zusammenarbeiten. Schwerpunkt ist die Erforschung von KI und die Suche nach einer Ethik für die neuen Technologien.
An dem diesjährigen Treffen in Rom nahmen als jüdischer Vertreter Rabbi Eliezer Simha Weisz vom Oberrabbinat in Israel und für den Islam Scheich Abdallah bin Bayyah (Vereinigte Arabische Emirate) teil. Das Grundsatzreferat hielt Paolo Benanti, Professor für "Ethik der Technologien" an der Gregoriana und wissenschaftlicher Direktor der "RenAIssance Foundation". Der Franziskanerpater gilt in Rom als einer der führenden katholischen Denker zum Thema KI und als Berater des Papstes in Fragen der KI-Ethik.
In einer Ansprache an die Teilnehmer zeigte sich Franziskus erfreut, dass seine grundlegenden Ideen aus der Enzyklika "Fratelli Tutti" nun auch in der Debatte um KI als Inspiration wirkten. Offenbar gebe es einen Konsens darüber, dass auch diese Technologie dem Allgemeinwohl und der Sorge um das gemeinsame Haus der Menschheit dienen solle.
"Wir sind uns alle bewusst, wie KI in jedem Aspekt unseres Lebens immer mehr präsent ist, sowohl im persönlichen wie im sozialen. Sie betrifft die Art und Weise, wie wir die Welt und uns selbst verstehen", so der Papst. Deshalb sei er froh, dass auch Vertreter der anderen Religionen in die Suche nach einer "Algor-Ethik" einbezogen würden, also eine ethische Reflexion über die Nutzung von Algorithmen.
Er rief die Teilnehmer auf, wachsam zu sein, damit nicht der Gebrauch dieser digitalen Werkzeuge auf Kosten der Schwächsten geschehe. "Es ist nicht akzeptabel, dass die Entscheidung über das Leben und die Zukunft eine Menschen einem Algorithmus anvertraut wird!", betonte Franziskus. Er hoffe, dass der "Rome Call" dazu beitrage, eine "digitale Anthropologie" weiterzuentwickeln, die Ethik, Erziehung und Recht umfasse. Die Teilnehmer rief er auf, "mit Kühnheit und Unterscheidung" an den Themen weiter zu arbeiten. Dabei sollten sie alle einbeziehen, denen das Wohl der Menschheitsfamilie am Herzen liege.
Von Ludwig Ring-Eifel
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