Waffenstillstand in KolumbienDie Kirche passt auf

Nach zähen Verhandlungen haben sich in Kolumbien die Regierung von Präsident Gustavo Petro und die marxistische ELN-Guerilla auf einen Waffenstillstand geeinigt. Beobachten sollen ihn die Vereinten Nationen und die katholische Kirche.

Flagge von Kolumbien auf einem Gebäude
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Es ist der politisch bislang größte Erfolg der noch jungen Regierung von Präsident Gustavo Petro. Seit einem Jahr im Amt arbeitet der Linkspolitiker mit Hochdruck daran, sein Kernprojekt umzusetzen: die komplette Befriedung des Landes oder wie er es nennt "Paz total".

Seit Anfang August haben sich nach langen zähen drei Verhandlungsrunden die Delegationen der Regierung und der ELN-Guerilla auf den Beginn eines Waffenstillstandes geeinigt. Der soll – wenn die weiteren Verhandlungen in dieser Woche in der venezolanischen Hauptstadt Caracas mit dem nun vierten Zyklus der Gespräche fortgesetzt werden – in einen dauerhaften Frieden und einen Friedensvertrag münden.

Zur Überwachung dieses Waffenstillstands haben sich beide Seiten auf unabhängige Schiedsrichter verständigt. Da ist einmal die katholische Kirche, die einen Beobachter zu den Gesprächen entsandt hat, und auch die Vereinten Nationen sind im Boot. Beide können keine eigenen Entscheidungen treffen oder gar eingreifen, sondern sollen dokumentieren und beobachten, wenn es Verstöße gibt, aber auch, wenn sich die beiden Seiten an die Abmachungen halten.

Zuletzt gab es immer wieder Meldungen über Verstöße einzelner Gruppen. Die ELN ist anders als die bereits befriedete FARC-Guerilla, die 2016 einen Friedensvertrag mit dem Staat unterzeichnete, viel dezentraler organisiert. Und damit auch schwieriger zu führen.

Da dies in einem Land mit einer Geografie vom Dschungel bis hin zu eisbedeckten Bergen nicht nur eine logistische Herausforderung ist, hat die Kolumbianische Bischofskonferenz eigens zur Fortbildung eingeladen: In der vergangenen Woche erhielten die dazu ausgesuchten Delegierten "konzeptionelle, technische und methodische Instrumente für die Entwicklung ihrer Mission in diesem Prozess", wie die Bischofskonferenz auf ihrer Seite mitteilte. Dabei hätten die mit der Aufgabe Betrauten "auch die verschiedenen regionalen Kontexte und die Herausforderungen und Fragen, die sich daraus für die Kirche ergeben", analysiert.

Der in der Bischofskonferenz für die Beziehungen zwischen Staat und Kirche zuständige Prälat Hector Fabio Henao sagte jüngst der Tageszeitung "El Tiempo": "Wir hoffen, dass der Waffenstillstand einen großen Einfluss auf das Leben aller Gemeinschaften haben wird und dass Situationen, die in der Vergangenheit aufgetreten sind, überwunden werden."

Der Waffenstillstand müsse jene humanitäre Erleichterung bringen, auf die viele Gemeinschaften warteten. Zugleich müsse er die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Verhandlungen mehr und mehr auf Vertrauen und auf der Fähigkeit beider Parteien beruhen, den Konflikt weiter zu deeskalieren, so Henao weiter. Als Vertreter der Kirche hatte er die Verhandlungen zwischen der Regierung und der Guerilla in Venezuela, Kuba und Mexiko beobachtet.

Die katholische Kirche hat eine historische Verbindung zur ELN. Die Gruppe war 1964 von Studenten, katholischen Radikalen und linken Intellektuellen aus Protest gegen die Armut der Kleinbauern gegründet worden. Eine ihrer Ikonen war der aus einer angesehenen Arztfamilie stammende katholische Priester Camilo Torres (1929–1966).

Das Verhältnis von Marxismus und Christentum kommentierte Torres einst mit dem Satz: "Warum sollen wir streiten, ob die Seele sterblich oder unsterblich ist, wenn wir beide wissen, dass Hunger tödlich ist?" Torres starb 1966 bei Kämpfen mit Regierungstruppen. Es war nach kolumbianischen Quellen sein erster Kampfeinsatz überhaupt.

Von Tobias Käufer
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