Über 400.000 Menschen folgen dem TikTok-Kanal der AfD-Bundestagsfraktion. Das sind mehr Follower, als alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien zusammen haben. Angeschaut werden die Video regelmäßig von vielen zehntausend Menschen, manchmal gar Hunderttausenden.
In den vergangenen Wochen machte vor allem der AfD-Politiker Maximilian Krah mit seinem vermeintlichen Erfolg auf TikTok von sich reden. Der AfD-Spitzenkandidat bei den Wahlen zum EU-Parlament im Juni wirbt auf der Videoplattform um Wählerstimmen - insbesondere um die Stimmen junger Menschen.
Krahs erfolgreichstes Video mit 1,4 Millionen Abrufen wendet sich an junge Männer. Jeder dritte von ihnen habe noch nie eine Freundin gehabt, so Krah. Seine Lösung? „Schau' keine Pornos, wähl' nicht die Grünen, geh' raus an die frische Luft, [...] und vor allem, lass dir nicht einreden, dass du lieb, soft, schwach und links zu sein hast. Echte Männer sind rechts, echte Männer haben Ideale, echte Männer sind Patrioten. Dann klappt's auch mit der Freundin."
Fachleute warnen angesichts derartiger Aussagen, das Männlichkeitsbild der AfD könne bei den meist jungen TikTok-Nutzern immer anschlussfähiger werden. Die hohen Abrufzahlen scheinen diese Angst zu stützen. Doch nur weil Nutzer ein Video anschauen, bedeutet das noch nicht automatisch, dass sie den Inhalt gut finden oder dass sie gar ihre Wahlentscheidung danach ausrichten.
„Die Frage, welche Wirkung digitale Kommunikation erzielen kann, ist sehr schwierig zu beantworten", sagt Jan Rau, Internetforscher am Leibniz-Institut für Medienforschung, dem Mediendienst der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): „In der Politikwissenschaft gibt es viele Kolleginnen und Kollegen, die Medien kaum Relevanz für die Wahlentscheidung zuweisen, weil sie davon ausgehen, dass diese anhand großer, gesellschaftlicher Megatrends, Konflikte und Krisen wie Individualisierung, soziale Ungerechtigkeit, Ost-West- und Land-Stadt-Konflikte, Migration oder Corona erfolgen."
Er schließe sich dieser Aussage in dieser Unbedingtheit zwar nicht an, so Rau, weil Medien seiner Ansicht nach schon eine wichtige Rolle spielen, aber: „In den letzten Jahren haben wir mit Blick auf digitale Medien einen Hype erlebt, bei dem Facebook oder Twitter für den Wahlerfolg von Donald Trump verantwortlich gemacht wurden." Das sei eine sehr verkürzte Darstellung, weil die gesellschaftliche Polarisierung der USA seit Jahrzehnten beobachtet werde - lange vor dem Aufkommen großer digitaler Plattformen und sozialer Netzwerke.
Das bedeute natürlich nicht, dass das Internet gar keine Rolle spiele, fügt Rau hinzu. Denn das Medium beeinflusse sehr wohl die Aufmerksamkeitsökonomie: „Auf der individuellen Ebene sind emotionale und konfliktorientierte Inhalte besser darin, unsere Aufmerksamkeit zu erlangen. Das wissen die Plattformen und verstärken solche Inhalte teilweise mit ihren Algorithmen." Im Fall TikTok bedeutet das: Wer mit seinen Inhalten Emotionen weckt, hat größere Chancen, eine hohe Reichweite zu erlangen.
Was die Inhalte dann bei den Nutzern tatsächlich auslösen, könne man aber nie genau sagen, so Rau. Ein Blick in die Kommentare zum Männlichkeitsvideo von Maximilian Krah zeige zum Beispiel, dass der AfD-Kandidat mit seinen Äußerungen dort nicht besonders gut ankomme: „Bruder wenn du 'ne Umarmung brauchst, sag Bescheid. Gibt keinen Grund so traurig zu sein", heißt es da etwa. Oder: „Sei einfach der Mann der du bist und der Rest ergibt sich! Außer du bist Maximilian Krah - dann sei am besten jemand anderes."
Abseits der Parteipolitik sind auf TikTok aber auch noch andere Akteure aus der rechten Szene aktiv, wie die Medienwissenschaftler Lara Franke und Daniel Hajok in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung aus dem Jahr 2023 beschreiben. Neben Parteipolitik, Rechtsrock und auch Kanälen von rechten Kampfsportgruppen, die eindeutig politisch Position beziehen, sehen sie auf TikTok auch subtilere Kräfte am Werk: „Sie orientieren sich an aktuellen Trends, tanzen und singen, präsentieren sich bewusst harmlos - und vermitteln nebenbei ihre Ideologie."
Haben Rechte auf TikTok also einen Vorsprung vor demokratischen Kräften? Nicht unbedingt. Eine Analyse des Politikberaters Martin Fuchs, die er Mitte März auf X veröffentlichte, zeigt, dass AfD-Spitzenkandidat Krah im Kreise der EU-Abgeordneten keineswegs so uneinholbar vorne liegt, wie es Medienberichte in den vergangenen Wochen suggerierten. Zwar habe Krah die meisten Abrufzahlen pro Video. Bei den summierten Abrufzahlen des gesamten Kanals liegt er aber weit hinter einem seiner ehemaligen Kollegen. Malte Galle, Ex-Abgeordneter der Grünen, der im März wegen Belästigungsvorwürfen zurückgetreten war, kommt auf fast doppelt so viele Views.
Und auch die Moderation der Plattformen schmälert Krahs Erfolg: Mitte März drosselte TikTok die Reichweite des Politikers, dessen Inhalte nun nicht mehr auf der sogenannten „For-you-Page" angezeigt werden - dem Hauptverbreitungsort von Inhalten auf TikTok. Plötzlich erreichen Krahs Videos im Regelfall nur noch vierstellige Abrufzahlen. Die Einschränkung soll 90 Tage dauern - bis zur Europawahl im Juni.
Von Jana Ballweber
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