Bei der Krönung blieb der wichtigste Teil verborgenFührt die Kanonstille wieder ein!

Bei der Krönung von Charles III. kam ein Prinzip zum Tragen, das in der katholischen Kirche seit der Liturgiereform in Vergessenheit geraten ist: Das Wesentliche muss verhüllt werden.

Benjamin Leven, Redakteur der Herder Korrespondenz
Benjamin Leven, ehemaliger Redakteur der Herder Korrespondenz

Auf der ganzen Welt haben Menschen die Krönung des englischen Königs Charles III. über die Medien verfolgt. Daran war ein Detail bemerkenswert. Der wichtigste und zentrale Teil der Krönungsliturgie, der Akt der Konsekration, nämlich die Salbung der Hände, der Brust und des Hauptes des neuen Königs mit geweihtem Öl, war weder sichtbar noch hörbar. Sie geschah hinter einem eigens für diesen Anlass gefertigten Sichtschutz, dem Coronation Screen. Der Erzbischof von Canterbury sprach die begleitenden Gebete sotto voce, während der Chor Händels „Zadok the Priest“ sang – jene aus dem Ersten Buch der Könige paraphrasierten Verse: „Zadok, der Priester, und Nathan, der Prophet, salbten Salomo zum König. Und das ganze Volk freute sich und sprach: Gott schütze den König! Lang lebe der König! Gott schütze den König! Möge der König ewig leben. Amen. Halleluja.“

Das ist deshalb bemerkenswert, weil hier ein Prinzip wirksam ist, das in der Praxis der lateinischen Kirche seit der Liturgiereform der Sechzigerjahre völlig in Vergessenheit geraten ist, obwohl es jedem Theatermenschen unmittelbar einleuchtet: Das Wichtigste wird auf irgendeine Weise verborgen – und gerade dadurch hervorgehoben.

Bis zur Reform war es so, dass auch in den allerfeierlichsten Messen, bei denen ansonsten ununterbrochen gesungen wurde, der Priester das lateinische Hochgebet, den Canon Romanus, leise murmelte. Niemand hörte, was er betete. Unterdessen schwieg auch der Chor. Vielleicht hörte man in dem Augenblick das Zwitschern der Spatzen vor dem Kirchenportal, oder das Prasseln des Regens, oder das Weinen eines Babys. Eine dezente Choreografie aus Gesten und Bewegungen, ergänzt um Glockenzeichen und Weihrauchgeruch, strukturierte das Geschehen.

Man hat das Murmeln und Raunen in der Liturgie abgeschafft, weil der Gottesdienst verständlich sein sollte. Dabei wusste jeder, was der Priester da leise am Altar betet: „Nehmet und esset alle davon: Das ist mein Leib ...“ Dass diese Worte heute laut in ein Mikrofon gesprochen werden, macht das Geheimnis des Glaubens nicht per se einleuchtender. Man kann versuchen, das Ungeheuerliche, das da behauptet wird – Gott ist gegenwärtig – katechetisch und theologisch aufzuklären. Und doch gibt es Dinge in der gelebten Religion, denen es besser entspricht, sie nur flüsternd auszusprechen – oder sie hinter einem Vorhang zu verbergen.

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