Haben wir nicht genug Probleme? Und jetzt auch noch der Osten – war es denn nicht ein Akt großer Solidarität, gewaltige Summen in die Neuen Bundesländer zu transferieren? Und nicht bloß das: Immerhin sind viele in den Osten gegangen, um dort einen beruflichen Neuanfang zu wagen, damit die Einheit glückt.
Das, was 1989ff. notwendig war und sich positiv anfühlte, weist auch eine gewisse Ambivalenz auf: Nach Erkenntnissen des aktuellen „Elitenmonitors“ beträgt der Anteil von Ostdeutschen an der Gesamtbevölkerung etwa 20 Prozent. Firmenchefs, Richterinnen und Spitzenbeamte in Führungsetagen der Neuen Länder stammen jedoch überproportional aus dem Westen. Vor allem in den Medien (8 Prozent) und in der Wissenschaft (4,3 Prozent) fällt die ostdeutsche Präsenz signifikant ab.
Und wie steht es mit Kirche und Theologie? Bei Bischofsernennungen in Erfurt, Berlin und Dresden-Meißen erhielten jeweils westdeutsche Kandidaten den Vorzug. Die traditionsreiche Erfurter Katholisch-Theologische Fakultät besitzt zwölf Lehrstühle; nur einer der Wissenschaftler dort kommt aus den Neuen Ländern. Das neue Berliner Zentralinstitut für Katholische Theologie umfasst mittlerweile sechs Professuren. Keiner der führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Hauptstadt hat eine ostdeutsche Biografie.
Der Wiener Patoraltheologe Paul Michael Zulehner hat über die Erfahrung der ostdeutschen Kirche gesagt, sie könne „in der Begegnung mit den atheistischen Menschen, mit religiösen Analphabeten viel riskieren, indem sie ausprobiert, wie das Evangelium in ihre Biografie hineinkommen kann“. Es geht also nicht um das Einfrieren schöner Traditionen, sondern um neue Horizonte.
„Wir haben versucht, an Gott und seiner Kirche in einer atheistischen Gesellschaft festzuhalten“, hieß es im letzten Hirtenbrief der Berliner Bischofskonferenz zum „Tag der Einheit“ am 3. Oktober 1990. Zeiten ändern sich – es geht darum, von diesem Punkt aus weiterdenken!