Die Ampel steckt in einer Krise: Seit den Bundestagswahlen hat die Koalition deutlich an Zuspruch verloren. Allein die SPD büßte laut ZDF-Politbarometer im Juni mehr als sechs Prozent ihrer Stimmen ein. Fast 80 Prozent aller Deutschen sind laut ARD-Deutschlandtrend mit der Arbeit der Ampel weniger bis gar nicht zufrieden. Profitieren kann von dem Umfragetief vor allem die AfD. Mit 18 Prozent der Stimmen liegt sie inzwischen ungefähr gleichauf mit der SPD, Tendenz steigend. CDU und CSU konnten zwar hinzugewinnen; sie wären heute stärkste Partei. Im Vergleich zur AfD blieben die Umfragewerte in den vergangenen Monaten – trotz strittiger Themen wie des neuen Heizungsgesetzes – aber praktisch unverändert.
In einem ZDF-Interview begründete CDU-Chef Friedrich Merz den Trend mit der „unzureichenden Arbeit der Regierung“ und dem Frust der Wähler. In der „Merz-Mail“, seinem wöchentlichen Newsletter, machte er die Gendersprache mitverantwortlich: „Mit jeder gegenderten Nachrichtensendung gehen ein paar hundert Stimmen mehr zur AfD.“ Warum die Wähler nicht stattdessen zur CDU und CSU gehen, ließ Merz offen. „Nicht die Opposition, sondern die Regierung“ trage die Verantwortung für die „Stimmungslage im Land“. „Opposition“ meint auch CDU und CSU. Tragen die etwa keine Verantwortung?
Selbstbewusstsein und ein offensives Verhalten wären gerade jetzt entscheidend. Doch die Unionsparteien sind seit der verlorenen Bundestagswahl 2021 immer noch auf Selbstsuche. Im Mai 2022 verkündete die CDU eine neue Grundwerte-Charta, die das Profil der Christlich-demokratischen Partei schärfen soll. Die Erklärung betont die christlich-sozialen, liberalen und konservativen Wurzeln der Partei. „Christlich, bürgerlich, weltoffen“, so beschreibt sich die CDU darin. Bis 2024 soll ein neues Grundsatzprogramm erarbeitet werden.
Bislang versuchte Merz mehrfach, mit populistischer Rhetorik an potenzielle Wähler heranzutreten. Bei den Angriffen in der Silvesternacht in Köln etwa sprach er von „kleinen Paschas“. Claudia Pechsteins umstrittenen Auftritt beim CDU-Konvent im Juni bezeichnete er als „brillant“. Ein „christliches Verständnis vom Menschen“, so die Grundwerte-Charta, böte dagegen eine Gelegenheit zur gezielten inhaltlichen wie auch strategischen Abgrenzung von AfD-Themen. Damit könnten Unionsparteien als „Alternative“ nicht nur Protest, sondern auch eigene Inhalte und Werte liefern. Das aber wäre jetzt schon nötig, nicht erst 2024.