Die Konjunkturzyklen der gegenseitigen Gewalt im Nahostkonflikt scheinen endlos und nur in ihrer Intensität stetig zunehmend. Manch einer wartet seit Jahren auf eine dritte, eine „verschleppte“ Intifada, doch ist diese längst da. Die vergangenen Wochen brachten: den Militäreinsatz von Jenin mit neun palästinensischen Toten, die verheerenden Jerusalemer Anschläge ausgerechnet am Internationalen Holocaust-Gedenktag, gewalttätige Auseinandersetzungen in der Jerusalemer Altstadt, die üblichen Apelle und Friedensgebete von Kirchenoberen und Weltpolitikern, dazu Freudenfeiern in Gaza. Kurzum: es wirkt alles so schrecklich wie ermüdend vertraut. Dass der gerade erst ins Amt gekommenen israelischen Regierung nur einfällt, die Waffenrechte zu lockern, lässt nicht den Schluss zu, dass konstruktive Lösungsvorschläge zu erwarten wären.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat sich verspekuliert. Seine neue Regierung, die ihm zur erneuten Macht verholfen hat, zeigt sich teilweise unkontrollierbar, fast irrational und sogar fanatisch. Damit gleicht sie sich der palästinensischen Gegenseite an. Weder Netanjahu noch Palästinenserführer Mahmud Abbas gelingt es, die Geister einzufangen, die sie leichtfertig riefen. Beide haben sich bei ihrem Ringen um Macht von Fanatikern unterstützen lassen und eine jahrelange gesellschaftliche Radikalisierung betrieben.
Dabei hatte es vor gar nicht allzu langer Zeit mit den Abraham-Abkommen so ausgesehen, als käme endlich Bewegung in die heillos verworrene Situation. Nur griffen die Abkommen grundsätzliche Selbsttäuschungen an, denen Netanjahu und Abbas ihr politisches Überleben erst verdanken. Netanjahu versuchte, seiner Wählerschaft zu vermitteln, der Status quo, also das Ignorieren der Palästinenser, das den Israelis eine Zeitlang eine trügerische Ruhe verschafft hatte, ließe sich ewig durchhalten. Abbas und die palästinensische Führung wiederum mussten entsetzt feststellen, dass viele arabische Führer durchaus willens sind, an den Palästinensern und deren Forderungen vorbei über den Nahostkonflikt zu beraten und dass die PLO keinen unabdingbaren Faktor darstellt.
Die größte Selbsttäuschung jedoch, auch für die Experten in aller Welt weitab der Konfliktzone, von der UNO über die Europäische Union bis zur kleinsten NGO, ist die monstranzartig vorgetragene Forderung nach einer Zwei-Staaten-Lösung. Der kurze Moment, in der diese möglich gewesen wäre, war schon seit der Zweiten Intifada passé. Was übrig blieb, ist zwischen illegalen Siedlungen, Messerattacken und Raketenbeschuss zermahlen worden. Nur, weil alle anderen Lösungen (föderale Konstruktionen, eine Ein-Staaten-Lösung mit gleichen Bürgerrechten für alle) mindestens genauso unmöglich scheinen, wagt keiner, die Zwei-Staaten-Lösung offiziell zu begraben. Dabei wäre ein ehrliches Eingeständnis des Scheiterns eine Grundlage, um eine mögliche Zukunft anzudenken. Ein Politiker wie Ariel Sharon hat noch gegen den Großteil seiner eigenen Wählerschaft die israelischen Siedlungen in Gaza räumen lassen. Ohne die eigene Machtbasis infrage zu stellen, wird es kein neues Denken geben. Da hilft kein Friedensgebet. Nur eines um Klugheit.