Dass der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Kirchen für einen wichtigen Teil der Gesellschaft hält, betont er immer wieder. Da verwundert es nicht, dass ihn die aktuellen Austrittswellen nicht kalt lassen: „Wir haben einen dramatischen Prozess der Entkirchlichung, das besorgt mich sowohl als Christ als auch als Ministerpräsident.“ Deshalb ruft er auch immer wieder dazu auf, nicht leichtfertig aus der katholischen Kirche auszutreten. Er selbst sehe auch gar keinen Grund, dies zu tun, wenn er sich in der Kirchengemeinde um die Ecke umschaue.
„Man muss nicht einfach austreten, man kann auch in eine andere Konfession übertreten“, meinte der gläubige Katholik dazu unlängst auch in einem Fernsehinterview. Und zumindest für diejenigen Austrittswilligen, die mit der mangelnden Geschlechtergerechtigkeit innerhalb der katholischen Kirche ein Problem haben, hat der Politiker dann auch noch einen praktischen Tipp parat: „Wenn ich mich so stark daran störe, dass die katholische Kirche keine Frauen weiht, dann kann ich auch in die evangelische Kirche gehen, die macht das nämlich.“
Das klingt so, als sei die evangelische Kirche ein Auffangbecken für unzufriedene Katholiken. Doch so einfach, wie der Ministerpräsident sich das anscheinend vorstellt, ist es eben nicht. Auch wenn ein solcher Vorschlag auf den ersten Blick naheliegend erscheint. Mancher mag auch denken: Wer katholisch plus Priesterweihe für die Frau und Synodalität sowie Mitbestimmung haben will, solle doch einfach in die altkatholische Kirche wechseln.
Kretschmann übersieht allerdings die oft vielschichtigen Gründe, die Menschen zu einem Kirchenaustritt bewegen. Zudem trennt die beiden großen christlichen Konfessionen dann doch vielmehr als nur die Frage nach dem Priestertum für Frauen. Und allen voran verkennt Kretschmann mit seiner Idee den Eigenwert der evangelischen Kirche. Sie ist mehr als eine Ersatzheimat für Katholiken.