Der Rücktritt von Annette Kurschus als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen wirft ein Schlaglicht nicht nur auf den kirchlichen Umgang mit dem Thema sexueller Missbrauch, sondern auch auf das für Deutschland typische Nebeneinander von zwei etwa gleich großen christlichen Kirchen, der evangelischen und der katholischen. Die offizielle katholisch-evangelische Ökumene befindet sich seit Jahren in einer Art freundlichem Wartestand. Gleichzeitig belegen die vor kurzem bekanntgemachten Ergebnisse der sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung von EKD und der erstmals beteiligten Deutschen Bischofskonferenz, dass sich so gut wie keines der traditionellen konfessionellen Stereotype heute noch empirisch bestätigen lasse und es mit wenigen Ausnahmen bei den „religionsbezogenen Merkmalen“ keine signifikanten Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten mehr gebe.
Der viel zitierte Satz von Papst Franziskus, es gebe in Deutschland ja schon eine gute evangelische Kirche, deshalb brauche es keine „protestantisierte“ katholische, verrät unfreiwillig die Crux, vor der sich die katholische Kirche hierzulande befindet: Sie ringt mühsam und zumindest bisher ohne Aussicht auf durchschlagenden Erfolg um ein neues Modell von Kirche, das die Sonderstellung des bischöflichen und priesterlichen Amtes prinzipiell festhält, es aber durch synodale Elemente irgendwie ergänzt. Dabei ist sie in eine Weltkirche eingebunden, die in erheblichen Teilen einem solchen Modell skeptisch bis ablehnend gegenübersteht. Es ist deshalb schwer absehbar, ob es überhaupt in Deutschland und anderswo zu einer katholischen Kirche kommen kann, in der Amtsträger in der Art von Annette Kurschus den Platz räumen können.