KirchengebäudeIst das gotisch − oder einfach antisemitisch?

Die Liebfrauenkirche in Trier ist ein bedeutendes gotisches Bauwerk. Pfarrei und Stadt überlegen sich, ob die Figurengruppe der Ecclesia und Synagoge entfernt werden soll.

Ulrich Fricker
Uli Fricker, Freier Journalist© Privat

Man muss schon genau hinsehen, um die beiden Frauenfiguren im Portalbereich der Liebfrauenkirche in Beziehung zu setzen und den Inhalt zu erschließen: Links vom Betrachter steht die Ecclesia, rechts die Synagoge, und ein stilles Band verbindet die beiden Frauengestalten in Trier. Ecclesia zeigt eine lächelnde Frau mit Krone und Fahne, sie triumphiert über die Dame auf der anderen Seite; diese stellt die Synagoge dar, die mit gesenktem Kopf und verbundenen Augen dasteht. Ihre Fahne ist zerbrochen. Hier die siegende christliche Kirche, dort das besiegte Judentum.

Nun ist in der katholischen Gemeinde ein heftiger Streit entbrannt: Soll man, ja kann man das konträre Duo denn stehenlassen?  Oder ist dieses Zeugnis des Antijudaismus nicht geeignet, dem Antisemitismus neue Nahrung zu geben, ihn sozusagen kirchlich zu legitimieren? In der Trierer Pfarrei Liebfrauen kursieren beide Meinungen. Die Frage drängt, sie soll beantwortet werden, bevor das Gotteshaus saniert wird.

Natürlich wäre es einfach, wenn man Ecclesia und Synagoge abräumt und in ein Magazin packt, wo sie den Hausmeister und einige Kunststudentinnen beschäftigen werden. Doch wäre es falsch, es käme einer Reinwaschung gleich. Die beiden Allegorien stehen für den Geist, der das Mittelalter kennzeichnet und den Martin Luther noch in der frühen Neuzeit vertrat. Wer sich nun für die Entfernung der Frauengestalten ausspricht, flieht aus der eigenen Geschichte. Die beiden haben ein Standrecht, sie stehen als historisches Zeugnis und als Warnung da. Kluge Menschen werden dazu eine erklärende Tafel verfassen, die die steinernen Plastiken einordnet.

Und noch etwas: Im Streit der Experten bleiben die Gottesdienstbesucherin und der Tourist außen vor. Sie werden in vorauseilender Überkorrektheit bevormundet. Wer fordert, dass Synagoge und Ecclesia vom Sockel geholt werden, traut dem Publikum offenbar nicht zu, sich selbst einen Reim zu machen.  Die Bilderstürmer wollen abräumen, wo andere sehen wollen. Der Furor der – sicherlich gut gemeinten − Reinigung passt nicht. Kommt und seht! Das könnte die Devise auch für Trier sein – und für alle anderen Kirchen, in denen Antijudaismus zu Stein geworden ist. Auch in Freiburg, Magdeburg und Straßburg stehen die beiden imposanten Gestalten. Bitte stehen lassen und betrachten!

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