Koloniale Vergangenheit der KircheEntschuldigung auf Raten

In einer aktuellen Erklärung kritisiert die katholische Kirche die kulturelle Unterdrückung indigener Völker – ein entscheidender Punkt aber fehlt in dem Text.

Isabel Barragán
Isabel Barragán, freie Journalistin© privat

Europäer waren nicht die ersten Menschen in Amerika: In einer gemeinsamen Erklärung der Vatikanbehörde für Erziehung und Kultur und der vatikanischen Entwicklungsbehörde hat sich die katholische Kirche von der sogenannten „Entdeckungsdoktrin“ distanziert. Die Idee diente Kolonialisten als Rechtfertigung für eine jahrhundertelange Unterwerfung indigener Völker. Die Doktrin sei „nicht Teil der Lehre der katholischen Kirche“, heißt es nun in der Erklärung. „Einige Gelehrte“ behaupteten, dass die Grundlage in päpstlichen Dokumenten zu finden sei. Diese päpstlichen Dekrete aus dem 15. Jahrhundert spiegelten „die gleichgestellte Würde der indigenen Völker nicht angemessen wider“. Die katholische Kirche bemühe sich „um die Förderung der universellen Brüderlichkeit“.

Die katholischen Bischofskonferenzen Kanadas und der USA begrüßten die Erklärung. Phil Fontaine, ein früherer Leiter der Versammlung der First Nations in Kanada, nannte sie „wunderbar“: Die Erklärung habe ein offenes Problem gelöst. Trotzdem ist der Text nur ein Beispiel eines schrittweisen Bekenntnisses, das die katholische Kirche bereits seit Jahren beschäftigt. Das Statement zeigt damit auch, wie zögerlich die katholische Kirche seit Jahren mit ihrer kolonialen Vergangenheit – und ihrer Schuld – umgeht.

Auslöser für die Erklärung ist eine Debatte um Missbrauch an kirchlichen Schulen in Kanada: Ab 1874 wurden tausende indigene Kinder landesweit von ihren Familien getrennt und in kirchliche Internate gezwungen. Offizielles Ziel war es, sie zu Christen nach europäischem Vorbild zu erziehen. Die indigene Kultur wurde so systematisch verdrängt. Betroffen waren 150.000 Kinder und Jugendliche, noch bis in die Neunzigerjahre hinein. Ehemalige Schüler berichten von Schlägen und Unterdrückung. Insgesamt starben so nach Schätzungen mindestens 6000 Minderjährige an Misshandlungen, Mangelernährung, Vernachlässigung und Krankheit.

Schon 2015 stellte eine kanadische Untersuchungskommission fest, die Kinder seien Opfer eines „kulturellen Genozids“ geworden. In einem Maßnahmenplan rief sie den Papst dazu auf, sich für die Rolle der Kirche zu entschuldigen. Papst Franziskus reagierte 2018 mit einer Absage. Nach ausführlicher Konsultation habe er entschieden, „dieser Bitte nicht persönlich entsprechen zu können“, so heißt es in einem offenen Brief. Genauere Gründe für die Absage werden nicht genannt.

Der Wendepunkt kam 2021, erzwungenermaßen: Auf dem Gelände eines ehemaligen kirchlichen Internats in der Provinz British Columbia wurden die sterblichen Überreste von 215 Kindern gefunden. Danach starteten Grabungen in der Nähe anderer früherer Schulen für Indigene. Mehr als 1000 Leichen tauchten dabei auf. Der Vatikan geriet zunehmend unter Druck. 2022 reiste Papst Franziskus nach Kanada und bat um Entschuldigung (vgl. HK, September 2022, 9–10).

Doch die kam bei der indigenen Bevölkerung nicht gut an. Murray Sinclair, früherer Vorsitzende der Untersuchungskommission, hielt sie für unzureichend: Franziskus habe die institutionelle, „führende Rolle“ der katholischen Kirche bei der Zwangsassimilierung indigener Kinder gerade „nicht anerkannt“, so Sinclair. Auch die Form der Entschuldigung stieß auf Kritik. So sprach der Papst zwar ausdrücklich von „Völkermord“ – das allerdings erst bei seiner Rückreise und gegenüber Journalisten. Ihm sei der Begriff bei seinem Aufenthalt nicht in den Sinn gekommen, so die Begründung.

In dem Statement vom März 2023 fehlt der Begriff ebenso. In dem Schreiben verweist die katholische Kirche mit einer Entschuldigung auf die Kanadareise des Papstes im Jahr 2022. Päpstliche Dokumente, die „in einer bestimmten historischen Periode verfasst wurden und mit politischen Fragen verbunden sind“, seien aber ohnehin „niemals als Ausdruck des katholischen Glaubens betrachtet“ worden. Gerade in der Schuldfrage in der Kolonialisierung bleibt die Erklärung vage. „Viele Christen“, so wird eingeräumt, hätten „böse Taten gegen indigene Völker begangen“. Doch eine Verantwortung der Kirche als Institution wird weiterhin nicht genannt. Eine Entschuldigung klingt anders.

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