Mehr Staatsbeteiligung bei MissbrauchsaufarbeitungUm der Betroffenen willen

Hilde Naurath, Redakteurin der Herder Korrespondenz

Das Thema sexualisierte Gewalt lässt die Kirchen, vor allem die katholische, zu Recht nicht los. Pflichtschuldig veröffentlichen nach und nach die (Erz-)Bistümer je eigene Studien, bisher mit je unterschiedlichen Schwerpunkten und Herangehensweisen – und bisher ohne allzu persönliche Schuldeingeständnisse. Am 14. Februar war das Bistum Essen an der Reihe, am 24. Februar das Erzbistum Hamburg für Mecklenburg. Am 3. März folgt die Studie im Bistum Mainz. Das Erzbistum Freiburg kündigte ein Gutachten für den 18. April an. Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, zeigte sich am 27. Februar zuversichtlich: Bei der Aufarbeitung von Missbrauch sei die katholische Kirche schon sehr weit gekommen. Nicht zuletzt der öffentliche Druck trage dazu bei – und das sei gut so. Noch ein Stück weiter ging der Missbrauchsbeauftragte der DBK, Bischof Helmut Dieser. Er warb am 1. März für eine politische Beteiligung an einem geplanten Rat von Experten unterschiedlicher Fachbereiche, etwa aus Justiz, Medizin, Psychologie, Soziologie und Kriminalistik. Dabei sei auch eine Mitwirkung von Vertretern von Parteien oder Parlamenten denkbar: „Wir haben da keine Ablehnung, sondern wir sind offen dafür, darüber genau nachzudenken.“

Gleichzeitig gibt es vermehrt Anzeichen dafür, dass umgekehrt auch der Staat die Samthandschuhe gegenüber den Kirchen auszieht. Zum Druck von außen gehörte ein bisher einmaliges Vorgehen von Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei in Bayern. Mitte Februar wurden laut Süddeutscher Zeitung erstmals im Rahmen von Ermittlungen im kirchlichen Missbrauchsskandal Räumlichkeiten der Kirche, nämlich des Erzbistums München und Freising, durchsucht. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) versicherte, die Staatsanwaltschaften ermittelten konsequent, sobald sich Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht ergäben.

Derweil fordert die SPD in Nordrhein-Westfalen, das Strafrecht um den Aspekt des Missbrauchs im Seelsorgeverhältnis zu erweitern und staatliche Standards für die Aufarbeitung zu schaffen. Der Paragraf 174 des Strafgesetzbuchs, der den Missbrauch von Schutzbefohlenen unter Strafe stellt, sollte um einen Absatz „sexueller Missbrauch in Seelsorgeverhältnissen“ ergänzt werden.

Der staatliche und politische Druck ist sehr zu begrüßen. Denn alleine können es die Kirchen nicht schaffen, die gewaltige Aufgabe zu stemmen. Interne Verkrustungen, Überforderung, Unwillen, Eigenschutz, Institutionsschutz sowie berechtigtes Misstrauen von außen behindern eine angemessene Aufarbeitung. Unter anderem scheinen Bistümer wie Augsburg, Bamberg, Dresden-Meißen, Eichstätt, Erfurt, Görlitz, Magdeburg und Regensburg noch nicht weit über die Bildung von Unabhängigen Aufklärungskommissionen hinausgekommen zu sein. Zugleich sind strafrechtliche Ermittlungen und gesetzliche Vorgaben originäre Aufgaben des Staates. Von Experten angedachte Punkte wie eine staatliche Aufarbeitungskommission oder ein Kinderschutzbeauftragter könnten ebenfalls helfen, sexuelle Gewalt in Kirchen – und anderen Einrichtungen – einzudämmen.

Daher bleibt nur zu hoffen, dass die staatlichen Behörden ihre Samthandschuhe im Umgang mit den Kirchen endgültig ausgezogen haben. Und dass die Kirchen staatliche und politische Expertise tatsächlich in Anspruch nehmen. Nicht um der Kirchen, sondern um der Betroffenen willen.

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