Warum ist es eigentlich so schwer, aufrichtig und menschlich mit Irrtümern umzugehen?“ Diese Frage stellte sich die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die westfälische Präses Annette Kurschus, Anfang des Jahres im evangelischen Magazin „Chrismon“. Doch in dieser Woche zeigte es sich wieder einmal, dass auch Menschen, die anderen Menschen Ratschläge und Lebenshilfe geben, am Ende doch nur Menschen sind.
Denn ein Rücktritt der westfälischen Präses von ihren Ämtern war überfällig, spätestens als die „Siegener Zeitung“ eidesstattliche Erklärungen präsentierte, wonach Kurschus von Missbrauchsfällen in ihrem Kirchenkreis wusste. Zuvor nämlich hatte die EKD-Ratsvorsitzende den Kardinalfehler schlechthin begangen: Kurschus ließ sich auf eine scheibchenweise Aufarbeitung ein, statt von Anfang an alle Karten auf den Tisch zu legen. Was wäre passiert, wenn sie gleich am Sonntag erklärt hätte: „Ja, diese Fälle gibt es. Ja, den Täter kenne ich gut. Ja, ich kann mich nicht daran erinnern, über diese Fälle informiert worden zu sein – aber wenn die Betroffenen es sagen, wird es stimmen, denn in der evangelischen Kirche glauben wir Betroffenen. Ja, ich habe einen Fehler gemacht und ja, es wird nicht wieder vorkommen?“ Die Wirkung eines solchen Statements wäre jedenfalls eine deutlich andere gewesen, als ein lapidares: „In Siegen kennt halt jeder jeden“ in einer Pressekonferenz.
Aber am Ende geht es eben auch in evangelischen Kirchenämtern oft zu sehr um Macht und Machterhalt. Macht abzugeben fällt den Menschen schwer, auch in der Kirche. Doch im Fall von Annette Kurschus geht es nicht mehr anders. Denn eine EKD-Ratsvorsitzende, die einst selbst erklärte, den Umgang mit sexuellem Missbrauch zur „Chefinnensache“ zu machen, muss auch selbst über jeden Zweifel erhaben sein.