Volksentscheid zur KlimaneutralitätUngerechte Apokalypse

Die Debatte zur Klimaneutralität der Stadt Berlin hat eine Kernfrage des katholischen Gesellschaftsdenkens vollkommen außer Acht gelassen.

Wenzel Widenka
© Florian Nütten

Berlin kann aufatmen. Unerwartet deutlich erteilten die Bürgerinnen und Bürger der Hauptstadt einem Volksentschied eine Absage, der die Stadt rechtsbindend auf die Klimaneutralität bis zum Jahr 2030 verpflichten wollte. Das Papier fand nicht die erforderliche positive Stimmenanzahl. Vorangegangen war eine beispiellose, privat finanzierte Medienkampagne. Auf die naheliegende Frage, mit welchen Mitteln diese Klimaneutralität hätte erreicht werden sollen, gab es freilich keine Antwort. Der Katzenjammer bei den Initiatoren ist nun groß. Dabei müssen sie sich vorwerfen lassen, nicht nur die Antworten auf das „Wie?“ schuldig geblieben zu sein, sondern eine Kernfrage katholischen Gesellschaftsdenkens vollkommen außer Acht gelassen zu haben: die soziale Frage.

Denn die selbstbewusst vorgetragene „Klima-Apokalypse“ kennt kein Maß, wenn es um den Einsatz finanzieller und persönlicher Mittel geht. Einkommensschwache Menschen in Berlin und weltweit kennen diese Grenze aber durchaus. Annette Kurschus, Ratsvorsitzende der EKD, forderte unlängst, die Klimafrage nicht von der sozialen Frage zu trennen. Auch ärmere Haushalte müssten sich Klimaschutz und Nachhaltigkeit leisten können. Niemandem könnten mehr Lasten aufgetragen werden, als er tragen könne. Die katholische Soziallehre sieht dies genauso. Ignoriert die Klimabewegung die soziale Wirklichkeit im Land und weltweit, droht sie, den Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren.

Eine nur von einer kleinen Elite getragenen, gegen jeden Widerstand durchgesetzte Änderung der Verhältnisse ist in der Geschichte noch immer schlecht ausgegangen. Leidtragend waren immer die sozial schwächeren Schichten, deren Anliegen auch aktuell unterzugehen drohen. Zudem sollten Aktivisten wie auch Gegner auf eine weitere Forderung von Kurschus hören: die dringende Bitte um Versachlichung der Debatte. Wenn aus dem Klimawandel in immer kürzeren Abständen erst die Klimakrise, dann die Klimakatastrophe und am Ende die Apokalypse wird, ist kein Dialog oder überlegtes Handeln mehr möglich. Nur gemeinsam und mit Verstand sind aber die Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft zu meistern.

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