Zum Fall des Neffen von Edmund DillingerStrafverschärfung schützt keine Kinder

Seit einer Gesetzesverschärfung 2020 ist der bloße Besitz von kinderpornografischem Material ein Verbrechen. Das schützt keine Kinder.

Hilde Naurath, Redakteurin der Herder Korrespondenz

Angesichts des schweren Missbrauchsfalls des Priesters Edmund Dillingerfordert die Vizepräsidentin des Deutschen Anwaltvereins, die Strafrechtlerin Sonka Mehner, dass das gültige Gesetz wieder entschärft werden müsse (Kölnische Rundschau, 16. Mai). Was auf den ersten Blick absurd erscheint – schweres Verbrechen, also Gesetzeslockerung –, ergibt bei genauerem Hinsehen Sinn: Es geht um den Neffen des Verstorbenen. Er hatte im Nachlass eine Unmenge an pornografischen Material mit Minderjährigen gefunden und sich durch den bloßen Besitz strafbar gemacht. Dabei geht es um nichts weniger als einen Verbrechenstatbestand, auf dem eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr steht.

Das entsprechende Gesetz gilt seit 2020. Erst seitdem kann laut Mehner die Staatsanwaltschaft derartige Verfahren nicht mehr aus Opportunitätsgründen einstellen. Die Liste an „unfreiwilligem" Besitz lässt sich leicht verlängern: Eltern oder Lehrer leiten ein kinderpornografisches Bild aus einem Klassenchat an die Schulleitungen weiter; jemand speichert eine Darstellung, um Anzeige zu erstatten. Doch auch ungeachtet „unverhofften“ Besitzes von kinderpornografischen Material ist die damalige Strafverschärfung kritisch zu sehen.

„Strafverschärfung schützt keine Kinder!“ hatte der Deutsche Anwaltverein 2021 in einer Stellungnahme erklärt, und, in schönstem Juristendeutsch: „Eine Reaktion auf das berechtigte Anliegen des Kinderschutzes mittels Strafrahmenerhöhungen und der Aufstufung/Qualifizierung als Verbrechenstatbestände spiegelt Erfolgsaussichten vor, ist aber nicht geeignet, dem Problem gerecht zu werden.“ Noch prägnanter: „Eine so symbolhafte Gesetzgebung (der Strafschärfung), die Handlungsbereitschaft nur demonstriert, ist abzulehnen.“ Die Bandbreite an Fällen mit je individuellen Konstellationen, Tatbeständen und Gefährdungen müsse abgestuft geahndet werden können. Es sei nicht nachvollziehbar, dass das einmalige Herunterladen einer Datei mit kinderpornografischem Inhalt eine mindestens einjährige Haftstrafe nach sich zieht. Fazit: Eine Strafe ohne Abstufungen ist kontraproduktiv, da es kein Signal für den Opferschutz ist, sondern ein Signal „gegen die Grundsätze der richterlichen Strafzumessung mit ihren Grenzen und Möglichkeiten“.

Tatsächlich erscheint es allzu billig, bei aufsehenerregenden, abscheulichen Verbrechen zuerst nach Gesetzesverschärfungen zu rufen. Die komplexen Folgewirkungen abzusehen, inklusive zunehmender Überlastung von Judikative und Exekutive, ist für Außenstehende kaum zu leisten. Vielleicht kann der aufsehenerregende Fall des Neffen von Edmund Dillinger dazu beitragen, von populistischen Forderungen und Änderungen abzusehen.

Im eigenen Umfeld und in eigenen Einrichtungen gilt umso mehr: Eben weil Strafen Straftaten kaum verhindern, sollte die größte Mühe und Sorgfalt in Prävention und Intervention gesteckt werden.

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