Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen: Im langen August 1989 war ich mit Freunden im Osten Europas unterwegs. Zwischen dem korrupten Ceaușescu-Regime und meiner politisch vergreisten Heimat versetzte mich das ungarische Umfeld in ungewohnte Erregung. Denn was ich in der Schule des Lebens schmerzlich hatte lernen müssen – die unheilbare Entzweiung der Welt – schien doch kein Naturgesetz zu sein.
Damals konnte ich an keinem Kiosk vorbeigehen, ohne dabei auf unfassbare Nachrichten zu stoßen. Was die westlichen Zeitungen berichteten, las ich als eine an mich höchstpersönlich gerichtete Botschaft, so zum Beispiel die Nachricht vom Paneuropäischen Picknick, bei dem 700 Ostdeutsche „in die Freiheit spazierten“.
Die neuen Umstände verlangten dringend nach einem Entschluss. Bei einer Fahrt auf der Donau begann ein innerer Kampf; ich wurde zunehmend stiller. Meine Begleiter registrierten diese Einsilbigkeit mit Unbehagen. Plötzlich hatte sich für mich eine Tür geöffnet. Und ich stand vor der einmaligen Gelegenheit, entschlossen durch sie hindurchzugehen, meinen verzweifelten Widerstand aufzugeben und nach einem individuellen Ausweg zu suchen. Eine existenzielle Entscheidung zwischen Pflicht und persönlicher Glückssuche. Ein Sprung ins Ungewisse – so oder so!
Warum ich das marode Schiff damals nicht verlassen habe? Ich glaube, weil in mir eine tiefe Zuversicht lebendig war: Es kann sich alles ändern, und du willst dabei sein! Aber ohne die „Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ und meine neue Aufgabe in der (Ost-)Berliner Studentengemeinde hätte ich kaum einen Ausgangspunkt gefunden, für diese Hoffnung einzutreten.
Aus dem Sprung ins Ungewisse ergab sich etwas ganz Neues: Das Mit-Gestalten der Friedlichen Revolution, die Wiederbelebung der Romano-Guardini-Tradition an der Humboldt-Universität und insgesamt 15 Jahre Bildungsarbeit an der Nahtstelle zwischen Ost und West.