Berlin ist nicht SibirienDer Theologe, der in die Kälte kam

Der Berliner Guardini-Lehrstuhl steht in einer beachtlichen Tradition. Doch nun könnte ihm das Aus drohen.

Thomas Brose
Thomas Brose, Religionsphilosoph© privat

Für immer bleibe ich nicht in Sibirien!“, schreibt Romano Guardini 1923 an seinen besten Freund. Da war der Deutsch-Italiener gerade auf den neuen Lehrstuhl für „Religionsphilosophie und Katholische Weltanschauung“ berufen worden.

Trotz des eisigen Empfangs in Berlin ging der Wissenschaftler das Wagnis ein, am geistigen Brennpunkt des Landes präsent zu sein. Seine Stelle an der heutigen Humboldt-Universität trat der 38-Jährige in einem schlimmen Augenblick der Weimarer Republik an: als die junge Demokratie Angriffen von Links und Rechts ausgesetzt und die Inflation scheinbar nicht mehr zu stoppen war. Der Gelehrte und Seelsorger fühlte sich in der Metropole auch für die „draußen vor der Kirchentür“ zuständig.

Der Religionsphilosoph und Theologe hielt es erstaunlich lange in der Kälte aus. Bis zur Zwangspensionierung im Jahr 1939 machte er seine Professur zu einer unverwechselbaren Institution: zum „Guardini-Lehrstuhl“. Er hatte nämlich erkannt, dass sich in Berlin angesichts des Diaspora-Klimas ein neues Verständnis des Katholischen entwickeln konnte: eines, das ein christliches Profil „für Agnostiker, Zweifelnde und Verzweifelte, ja auch für die vielen, bei denen das Wort Kirche kaum noch Gefühle, nicht einmal der Ablehnung erregt“ (Hans Maier), anziehend macht.

Es dauerte ein halbes Jahrhundert, ehe an der Ostberliner Lindenuniversität 1989ff. ohne Angst vor Relegation oder Inhaftierung wieder vom Guardini-Lehrstuhl die Rede sein durfte. Was folgte, war harte Aufbauarbeit. Schade, dass das Sekretariat der Bischofskonferenz nicht vor Ort erleben konnte, wie das Eisen katholischer Intellektualität durch die Friedliche Revolution geschmiedet wurde. Jetzt hat die Bonner Zentrale entschieden, dass es keine Unterstützung mehr für den Weiterbetrieb des Lehrstuhls beziehungsweise für Lectures gibt. Droht das erneute Aus? Hoffentlich gelingt es, Guardinis Berliner Erbe weiter zu behaupten!

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