Die Verehrung des Herzens Jesu ist keine Konstante der christlichen Frömmigkeitsgeschichte. Sie hatte ihre Hochzeit seit dem 17. Jahrhundert und gehörte dann bis ins 20. Jahrhundert zum Grundbestand katholischer Frömmigkeit: Ältere in unseren Breiten werden sich noch an die regelmäßigen „Herz-Jesu- Freitage“ erinnern (vgl. HK, Oktober 2020, 25–27). Das letzte lehramtliche Dokument, das sich ausdrücklich mit Theologie und Verehrung des Herzens Jesu befasste, war die 1956 vorgelegte Enzyklika „Haurietis aquas“ aus der Spätphase des Pontifikats von Pius XII.
Jetzt hat sie in Form der Enzyklika „Dilexit nos“ von Papst Franziskus vom 24. Oktober ein eher überraschendes Folgedokument erhalten, das von der „menschlichen und göttlichen Liebe des Herzens Jesu Christi“ handelt. „Enzyklika“ ist in den letzten Jahrzehnten zu einem ziemlich vagen Oberbegriff geworden; zu den vielen Enzykliken des „Rekordpapstes“ Johannes Paul II. gehörten Lehrschreiben genauso wie spirituell geprägte Texte. Die neueste Enzyklika von Papst Franziskus entfaltet wichtige Stationen aus der Geschichte der Herz-Jesu-Verehrung (unter besonderer Berücksichtigung von Belegen aus dem Jesuitenorden), erinnert an den biblischen Hintergrund dieser Spielart katholischer Frömmigkeit und beginnt mit allgemeinen Ausführungen zur Bedeutung des menschlichen Herzens als Personmitte.
In „Dilexit nos“ finden sich zum Teil en passant, zum Teil ausdrücklich bekannte Grundanliegen und Anstöße des gegenwärtigen Papstes wieder, so die Warnung vor einer Kirche, die einseitig auf strukturelle Veränderungen und auf „zwanghaftes Organisieren“ setzt, oder der Hinweis auf die Verbindung zwischen der Verehrung des Herzens Jesu und dem „Engagement für die Brüder und Schwestern“, nicht zuletzt der Nachdruck auf der Bedeutung der Mission, mit der das Schreiben schließt. In ihrem eindringlichen, durchaus sympathischen Plädoyer für eine Wiederentdeckung der Herz-Jesu-Spiritualität wirkt die Enzyklika allerdings ein wenig aus der Zeit gefallen. Sie ist ein schöner und ohne Schmalz solide gearbeiteter, aber gleichzeitig sperriger Text – und teilt dieses Charakteristikum mit anderen Äußerungen des Jesuitenpapstes Franziskus „vom anderen Ende der Welt“.