Es ist einer der größten Missbrauchskomplexe, die es im deutschen Protestantismus gab: In den Kinderheimen der mit der württembergischen Landeskirche assoziierten Brüdergemeinde Korntal wurden Jungen und Mädchen jahrzehntelang körperlich misshandelt und sexuell missbraucht. Einer der Betroffenen, Detlev Zander, ist heute Sprecher des Beteiligungsforums der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Darüber, was ihm in seiner Kindheit in Korntal geschehen ist, berichtet er zusammen mit anderen Betroffenen in einem Kinofilm: „Die Kinder aus Korntal“, produziert von der Regisseurin Julia Charakter. Ein sehenswerter Streifen, der Ende September in die Kinos kam.
Oder besser gesagt: Der Ende September in einige wenige Kinos kam. Denn anhand des Films wird einmal mehr deutlich, wie weit mittlerweile beim Thema sexueller Missbrauch die Schere zwischen den Kirchen und dem Rest der Welt auseinandergeht. Wer diesen Film in einer regulären Vorstellung im Kino sehen will, braucht das detektivische Gespür eines Sherlock Holmes: Nur eine Handvoll Lichtspielhäuser zeigt den Film überhaupt. Selbst in großen Städten, wie Frankfurt am Main oder Hamburg, gab es nur zwei oder drei Vorführungen in kleinen Programmkinos. In Düsseldorf beispielsweise wurde er gar nicht gezeigt. Das entspricht wohl der öffentlichen Wahrnehmung, dass sexueller Missbrauch „eine Kirchenangelegenheit“ ist – und weil das Thema „Kirche“ ja sowieso niemanden mehr interessiert, rechnen auch die Kinobetreiber nicht mit nennenswerten Einnahmen und zeigen den Film erst gar nicht.
Doch erstens ist der Fall Korntal nicht nur eine kirchliche Schuldgeschichte: Auch staatliche Jugendämter und Heimaufsichten haben nicht hinreichend hingesehen. Und zweitens ist das Thema sexueller Missbrauch schon lange kein reines „Kirchenthema“ mehr, auch wenn immer wieder versucht wird, es in diese Ecke zu schieben. Es geht die ganze Gesellschaft an, längst nicht nur die kirchlich Engagierten. Umso wichtiger wäre es da, dass Filme wie „Die Kinder aus Korntal“ flächendeckend in den Kinos liefen. Umso wichtiger wäre es, dass angehende Lehrer und Erzieher solche Filme in ihrer Ausbildung verpflichtend sehen. Und umso wichtiger wäre es, dass alle Ehrenamtlichen, die irgendetwas mit Kinder- und Jugendarbeit zu tun haben, eine Chance hätten, so einen Film im Kino zu sehen.
Und so paradox es klingt – gerade die Kirchen könnten das ermöglichen: Wenn sich nämlich Gemeinden und Kirchenkreise mit den örtlichen Kinobetreibern zusammentun und für eine Mindestabnahme von Kinokarten sorgen, sollte es möglich sein, dass ein Film wie „Die Kinder aus Korntal“ in noch deutlich mehr deutschen Kinos gezeigt werden kann.