Europa und die KirchenDie Wurstelei beenden

Statt in resonanzarmen Institutionen weiter vor sich hinzuwursteln, sollten sich Christen und Kirchen über die Grenzen zwischen Ländern und Konfessionen hinweg vernetzen, um als europäische Christenheit den demokratischen Rechtsstaat zu verteidigen.

Ulrich Ruh
Ulrich Ruh, Ehemaliger Chefredakteur der Herder Korrespondenz© Christian Klenk

Mit dem großen Thema Europa tun sich die Kirchen gerade auch in Deutschland zur Zeit eher schwer. Die Institutionen für europäische Zusammenarbeit sind auf katholischer Seite der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen und die Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft, auf evangelischer Seite die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa. Sie wursteln ohne größere Resonanz in der kirchlichen Öffentlichkeit vor sich hin, das Interesse an der kirchlichen Landschaft in europäischen Nachbarländern ist nicht zuletzt hierzulande von Ausnahmen abgesehen unterentwickelt, wie sich etwa am theologischen Austausch zeigt. Eine der großen Kirchen der europäischen Christenheit, die Russische Orthodoxe Kirche, liefert ideologische Blaupausen für den russischen Eroberungskrieg gegen die Ukraine und hat sich dadurch als Mitspieler aus der ohnehin fragilen kirchlichen Gemeinschaft Europas verabschiedet.

In dieser Situation wäre Nostalgie nur zu verständlich, hilft aber nicht sehr viel weiter. Natürlich gab es nach dem Zweiten Weltkrieg so etwas wie eine goldene Aufbruchszeit für das europäische Engagement der Kirchen im westlichen Europa und nach der „Wende“ von 1989 viele Bemühungen um Brückenbau zu den zuvor unterdrückten Kirchen im ehemals kommunistisch beherrschten Teil des Kontinents. Man denke nur an die Arbeit des neuen katholischen Hilfswerks „Renovabis“.

Aber heute sind die Kirchen in Europa mit anderen Herausforderungen konfrontiert, nicht zuletzt durch das Erstarken nationalpopulistischer, teilweise rechtsextremer Bewegungen in diversen europäischen Staaten. Es muss eine Aufgabe gerade auch kirchlicher Instanzen und Organisationen sein, den demokratischen Rechtsstaat samt seiner kulturellen und religiösen Offenheit mit ihren Mitteln gegen seine Verächter zu verteidigen. Es bräuchte dazu so etwas wie eine neue europäische Vernetzung von Christen und Kirchen über die Grenzen zwischen Ländern und Konfessionen hinweg. Sie wäre im Interesse sowohl eines vielfältigen und grundwertebasierten Europa wie der christlichen Kirchen des Kontinents, die sich in ihren Gesellschaften derzeit in vieler Hinsicht neu sortieren müssen.

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