Kirche und SozialstaatKeine Selbstverständlichkeit

Es ist das Standardargument für die Rolle der Kirchen in der Gesellschaft: ihr soziales Engagement. Dazu zählt auch die Beteiligung an Kindertagesstätten. Doch die Mitgliederzahl der großen Kirchen sinkt jedes Jahr um eine Million und die Kirchensteuer stagniert. Schmerzhafte Änderungen zeichnen sich ab. Was bedeutet das für die Selbstlegitimation der Konfessionen?

Wenzel Widenka, Volontär
Wenzel Widenka, Volontär bei Christ in der Gegenwart© Florian Nütten

Die Kirchen müssen sparen. Das kommt nicht überraschend, wenn man die religions-demographische Entwicklung Deutschlands betrachtet. Gerade beschloss beispielsweise die Synode der evangelischen Landeskirche von Kurhessen-Waldeck, ab 2027 ihre jährlichen Eigenanteilmittel für rund 200 kirchliche Kinderbetreuungseinrichtungen mehr als zu halbieren. Auch auf katholischer Seite wird gespart, beispielsweise in Paderborn. Hier betreffen die Felder die Anstellung von Vertretungspersonal oder die Ausbildung neuer Erzieher. Das bedeutet Mehrausgaben für die Kommunen.

Alle wollen also mehr Geld, um das bestehende System aufrecht zu erhalten. Und hier wird die Sache pikant: Denn während die Kirchen darauf hinweisen, dass der Staat die Rechtsansprüche auf eine Kita-Betreuung immer mehr ausgeweitet hat und die Betriebskosten stetig steigen, weist die Gegenseite darauf hin, dass die Kirchen auch weiterhin zu den Kirchensteuereinnahmen immense Staatsleistungen bekommen; aktuell jedes Jahr 600 Millionen Euro an beide Kirchen zusammen. Deren Wurzeln liegen noch in napoleonischer Zeit, doch taugt dies heute nur noch bei einer Minderheit als Argument. Beide Seiten haben jedoch ein großes Interesse daran, dass sich die Kirchen weiterhin beteiligen.

Die ganze Angelegenheit offenbart ein Dilemma, dass die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Kirchen betrifft: Denn sich ausschließlich säkular als sozialer Wohlfahrtsplayer zu präsentieren, erweist sich in der Mitgliedschafts- und Bedeutungskrise als nicht gerade nachhaltige Option. Wenn die einzige Legitimation für erhaltene Staatsleistungen das eigene Engagement im Sozialen ist, dann können die Kirchen wirklich keinen Sonderstatus für sich beanspruchen. Die Kombination aus Selbstrücknahme und staatlicher Abhängigkeit kennt hier nur einen Gewinner: Der Staat springt ein, wo einstmals selbstverständliche Strukturen nicht mehr greifen können oder wollen, weil sie ihre Legitimität zu verlieren drohen. Die faktische Abhängigkeit der Kirchen vom Staat erweist sich hier als Boomerang. Leidtragende sind Kinder und Eltern.

Den Kirchen bleibt hier nur eines: Wollen sie weder ihre gesellschaftliche Legitimität noch ihre finanziellen Zuschüsse verlieren, müssen sie wohl oder übel mehr in das Soziale investieren und an anderen Stellen sparen. Denn dieses Feld ist das beinahe einzige, auf dem sie noch reüssieren können. Die Statistiken sind da gnadenlos. Wer an dieser Situation „schuld“ ist und wie sie sich in diese Sackgasse der Abhängigkeiten manövriert haben, steht auf einem ganz anderen Blatt und wird die ebenso alte wie stets aktuelle Diskussion über das Staat-Kirche-Verhältnis erneut befeuern.

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