Reliquien sind in! Diesen Eindruck bekommt man zumindest, wenn man sich die kirchliche Berichterstattung der vergangenen Wochen ansieht: Hunderte kommen, um sich mit der Herz-Reliquie des seligen Carlo Acutis segnen zu lassen. Auch Gebeine von Bistumsgründern werden zu deren Festtag öffentlich ausgestellt. Das Bistum Würzburg hat gar verkündet, die Schädel der Heiligen Kilian, Kolonat und Totnan nach Irland zu transportieren. Von dort sollen sie – angeblich – gekommen sein, um im Frankenland das Evangelium zu verkünden.
Reliquien haben im katholischen Glaubenshorizont lange Zeit eine große Rolle gespielt. Sie waren der Ort, an dem sich der rechte Glaube entschied. Wer Reliquien von Heiligen besaß, konnte sich sicher sein, auch den richtigen Glauben zu besitzen. Deshalb wurden selbst die sterblichen Überreste einiger Römer, die man in einer Katakombe fand, „getauft“ und in feierlichen Prozessionen in die Kirchen jenseits der Alpen überführt. Bis heute ist es gängige Praxis, in den Altären Reliquien beizusetzen. Wer dort Eucharistie feiert, teilt den Glauben jener, deren Gebeine in der Mensa des Altars ruhen.
Doch die Koordinaten des Systems, in dem Menschen heute glauben, haben sich längst verschoben. Der Ort, an dem sich der Glaube entscheidet, ist das Leben der Menschen. Die Erzählgemeinschaft derer, die ihr Leben nach dem Evangelium gestalten und es so weitergeben, ist der Ort, an dem Menschen zum Glauben kommen können. Die Communio derer, die das Lebensbeispiel Christi im Hier und Heute konkretisieren, garantieren das Bleiben im Glauben, der dem Evangelium entspricht.
Die Verehrung alter Knochen, deren Herkunft in den meisten Fällen höchst ungewiss ist, mutet daher für viele höchstens noch makaber oder abschreckend an. Auch Heilige haben ein Recht auf Totenruhe. Und die sollte man ihnen auch endlich gönnen. Schließlich sind selbst die eifrigsten Verehrer der Katakombenheiligen darauf gekommen, dass dieser Kult fragwürdig ist. Die reich verzierten Skelette wurden verblendet und hinter bemalten Holztafeln versteckt. Sie wurden der Vergessenheit preisgegeben. Sie taugen nur noch, um ein verknöchertes Bild des Glaubens darzustellen, der längst jegliche Dynamis verloren hat.