Donald Trump hat es zum zweiten Mal geschafft, dieses Mal ist er sogar mit einem deutlichen Stimmenvorsprung vor seiner demokratischen Konkurrentin Kamala Harris zum Präsidenten gewählt worden. Wahlanalysen zufolge haben 54% der US-amerikanischen Katholiken ihn gewählt. Für Kardinal Gerhard Ludwig Müller war das Ergebnis völlig klar. Er betont als klares Kriterium die Pro-Life-Position und bezeichnet Kamala Harris von daher als „entschieden lebensfeindliche Kandidatin“ – eine Position, die ansonsten bei einem Blick auf diese lebensbejahende, Hoffnung ausstrahlende Frau schwer nachvollziehbar ist. Dagegen hatte Papst Franziskus im Vorfeld der Wahl auf einer seiner fliegenden Pressekonferenzen betont, es gelte, „das kleinere Übel zu wählen“; wer aber das kleinere Übel sei, das wisse er nicht, denn sowohl die Kandidatin als auch der Kandidat seien gegen das Leben. Wer Migranten zurückweise, mache sich ebenso schuldig wie jemand, der Abtreibung befürworte. Die Gleichsetzung dieser beiden Positionen hat großen Unmut ausgelöst, aber dass die Zurückweisung von Migranten gegebenenfalls auch bedeutet, deren Tod in Kauf zu nehmen, lässt sich wohl kaum bestreiten. Es hätte sich eine Debatte über eine mögliche Regulierung der Migration anschließen müssen, in der dann, durchaus ethisch motiviert, politisch argumentiert werden müsste.
Beobachtet man den Wahlkampf in den USA von Deutschland aus, aber im Gespräch mit amerikanischen Katholiken und Wissenschaftlern, so scheint die Frage nach dem Lebensschutz die einzige ethische zu sein, die die Kirche interessiert. Themen sozialer Gerechtigkeit spielen, ethisch gesehen, keine Rolle. Das letzte große Sozialschreiben der amerikanischen Bischofskonferenz ist der Wirtschaftshirtenbrief von 1986 (!). Im Unterschied dazu richtet sich der Blick der Bischofskonferenz seit langem und so auch in diesem Wahlkampf primär auf die Abtreibungsthematik; die Frage nach der Migration spielt nur insofern eine Rolle, als man in den entsprechenden Wählerkreisen eine restriktive Migrationspolitik wünscht. Das wird allerdings dann gar nicht als ethische Frage erkannt.
Diese Fokussierung allein auf pro life folgt dem Muster der Komplexitätsreduzierung und zeugt nicht nur von politischer, sondern auch von theologischer Unbedarftheit. Die Frage des Lebensschutzes am Lebensanfang zum allein wahlentscheidenden Kriterium zu machen, hat einen populistischen Anstrich! Gerechtfertigt scheint mir das so nicht zu sein – aus einem doppelten Grund.
Zum einen: Lebensschutz umfasst mehr Phasen und Facetten des Lebens, die nicht unbeachtet bleiben dürfen. Ist nicht die Sorge um die Ärmsten der Gesellschaft oder um die Kinder der Geflüchteten genauso Lebensschutz? Ist die Sorge um die Familie nicht auch ein zentraler Aspekt des Lebensschutzes? Wie passt dazu der Zynismus des von Trump designierten Grenzmanagers Tom Homan, der auf die Frage, ob es eine Möglichkeit gebe, bei der geplanten Deportation der Migranten zu verhindern, dass Familien auseinandergerissen würden, antwortete: ja, sie würden zusammen deportiert?
Zum anderen mit Blick auf die Schwangerschaftsthematik: Die ganze Entwicklung
Roe vs.
Wade (Grundsatzentscheidung zum Abtreibungsrecht von 1973) zurückzudrehen, lässt völlig außer acht, dass in vielen Staaten schon Mütter gestorben sind, bei denen es zu Komplikationen während Schwangerschaft oder Entbindung kam und Ärzte und Ärztinnen sich nicht getraut haben, einzugreifen, um nicht gegen dieses strikte
anti-abortion law zu verstoßen. Zudem: Was ist ein auf den Lippen geführtes Bekenntnis zum Lebensschutz wert, wenn dem keinerlei Maßnahmen zur sozialstaatlichen und gesellschaftlichen Unterstützung der schwangeren Frauen in Not folgen? Erst wenn Beratung, Hilfsmaßnahmen und lebensfördernde Programme konstitutiv mit diesem Bekenntnis verbunden sind, wird glaubwürdig, dass es um Lebensschutz und nicht letztlich doch um eine Frage der Macht geht. Biblisch gesprochen: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“