Anker im UnvergänglichenÜber metaphysische Obdachlosigkeit

Der Beginn eines neuen Jahres geht für viele Menschen mit Vorsätzen und dem Wunsch nach Veränderung einher. Wo finden wir Behausung, die trägt?

Thomas Brose
Thomas Brose, Religionsphilosoph© privat

Wohnst Du noch oder lebst Du schon?“ So bewirbt eine Möbelkette in genialer Weise ihre Produktpalette. Diese und ähnliche Sprüche kennen die meisten. Sie haben sich in unseren Köpfen regelrecht festgesetzt. Warum das so ist? Die Werbe-Botschaft packt uns bei den allertiefsten Gefühlen!

Wäre das ein Vorsatz für das ganze neue Jahr: Mehr zu leben? Ich glaube, Menschen sehnen sich danach, nicht bloß ein Dach über dem Kopf zu haben, sondern sind auf der Suche, echt und authentisch beheimatet zu sein.

Wahrscheinlich ist den Werbeprofis bei IKEA gar nicht bewusst, dass sie mit ihrem Slogan in visionärer Weise die tiefsten Schichten des Menschseins berühren. Zu Beginn eines neuen Jahres – mir geht es jedenfalls so – sind wir durchlässiger für große Fragen und für den Wunsch, unser Leben zu verändern. Aber wohin damit in einer Zeit, in der vieles auf dem Prüfstand steht, in der fürchterliche Kriege weitergehen und die Humanität vor unserer Haustür bedroht ist?

Dass trotz eines super sorglos eingerichteten Daseins ein Gefühl von Horror Vacui und Angst um sich greift, ist derzeit eine Erfahrung in vielen Wohlstandsgesellschaften. Ich denke: Das Konzept des „Immer-Schöner-Wohnen“ gelangt an Grenzen. Man kann tolle Möbel haben, aber trotzdem unbehaust sein. Frauen und Männern, auch Kindern, ein metaphysisches Obdach zu bieten, bleibt in Zeiten bedrohter Menschlichkeit die große Herausforderung für eine „Kirche in der Welt von heute“.

Vielleicht sollten wir mit dem allereinfachsten und zugleich allerschwersten beginnen: nämlich mit der Erinnerung an ein einziges Wort, das viel mehr ist als sonst ein „Wörterbuchwort“: an Gott! „Wäre das Wort ‚Gott‘ nicht mehr vernehmbar“, schreibt der Theologe Karl Rahner, „würde sich der Mensch restlos über dem je einzelnen an seiner Welt und in seinem Dasein vergessen.“ Mit anderen Worten: Ohne einen Anker im Unvergänglichen gibt es auch kein gutes Leben in dieser Welt.

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