Im deutschen Bundestagswahlkampf sind die beiden großen Kirchen nicht direkt involviert, und das ist gut so. Dennoch können sie sich aus dem vorgezogenen „Winterwahlkampf“ nicht einfach heraushalten: Schließlich sind sie auch zivilgesellschaftliche Institutionen und damit Akteure, denen schon von der Zahl ihrer Mitglieder her ein gewisses Gewicht zukommt. Allerdings können die Kirchen derzeit so wenig auf die Waagschale werfen wie vermutlich noch in keinem Wahlkampf der vergangenen Jahrzehnte. Sie haben beide mit massiven inneren Problemen zu kämpfen, strahlen als verunsicherte Glaubensgemeinschaften mit schrumpfenden Kernmilieus kaum in unsere Gesellschaft aus und verlieren Jahr für Jahr durch Austritte viele Mitglieder. Die klassischen Transmissionsriemen vor allem zwischen katholischer Kirche und Unionsparteien haben sich weitgehend aufgelöst – Ausnahmen bestätigen die Regel.
Die Schwäche der katholischen wie der evangelischen Kirche begrenzt auch unvermeidlicherweise ihren politischen Einfluss und ihre Mitwirkungsmöglichkeiten. Was bleibt ihnen dann in einem Bundestagswahlkampf? Sie können – und müssen – zum einen inhaltliche Eckpunkte setzen, die sich aus dem konstitutiven Bezug auf ihre Grundbotschaft und deren sozialethische Konsequenzen ergeben. Dazu gehören nicht zuletzt die klare Absage an völkisch-nationale Ideologeme sowie das unmissverständliche Eintreten für die Menschenwürde als Basis unseres Grundgesetzes, sei es gelegen oder ungelegen (vgl. HK, Dezember 2024, 16–18). Zum anderen ist es unverzichtbare Aufgabe der Kirchen, sich für die Verteidigung und Stärkung demokratisch-rechtsstaatlicher Grundprinzipien mit einzusetzen, nicht als exklusive Verpflichtung, sondern mit zivilgesellschaftlichen Bündnispartnern, auf der lokalen wie auf der nationalen Ebene.
Die Kirchen können gerade unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht einfach als gesellschaftlicher Wertelieferant oder gar als deren wichtigste Stabilisatoren fungieren. Es braucht nicht nur in Wahlkämpfen für die Kirchen eine kluge Verbindung von Realismus im Blick auf die eigenen Fähigkeiten und dem Mut, sich im Fall des Falles auch als Minderheit politisch-ethisch zu exponieren.