Der Physiker Dieter Müller erinnert sichEin Echolot fürs Christsein

Die Erinnerungen eines ehemaligen Physiklehrers an das eigene Christsein in der DDR lohnen die Lektüre.

Thomas Brose
Thomas Brose, Religionsphilosoph© privat

Seit Ende der Siebzigerjahre gab ein Autor Anzeigen in Zeitungen auf, in denen es hieß: „Walter Kempowski sucht“. In einem klein umrandeten Feld wurde von ihm aufgezählt, was ihn brennend interessierte: Erinnerungen, Tagebücher, Briefe und Fotografien aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs.

Dem Schriftsteller Walter Kempowski ist dann mit seinem vierbändigen Echolot – er nennt es „Ein kollektives Tagebuch. Januar und Februar 1943" – ein großartiges Werk gelungen. Dagegen kommen die 2024 erschienenen Erinnerungen des Magdeburger Physikers Dieter Müller bescheiden daher. Sie heißen schlicht Mein Stückwerk" (Biographiewerkstatt Böddeker). Aber beide nehmen „Schallimpulse“ auf, die für „uns“ Ereignisse und Stimmungen der Zeitgeschichte erfahrbar machen.

Dieter Müller, der in der Nachkriegszeit einmal vor Hunger in Ohnmacht fiel, ist von einem Hunger nach Wahrheit erfüllt. Spannend zu lesen, wie es dem angehenden Physiklehrer in Halle gelang, sein Christsein zu leben. Die Weite der Katholischen Studentengemeinde spielte dabei eine prägende Rolle; sie half dem Naturwissenschaftler, weltanschaulichem Druck standzuhalten, aber auch manche Kleinkariertheit der katholischen Diasporakirche der DDR zu ertragen. Sie schenkte dem Selberdenker 1989 auch den Mut, an Montagsdemonstrationen teilzunehmen. Bei den Demos bat er seine Frau Angela manchmal: „Huste mal!“ – „In diesem Moment drückte ich meine Kamera ab … Fotografieren war nach wie vor gefährlich: Mein Nebenmann konnte ja von der Staatssicherheit sein oder mich für einen solchen halten.“

Gut, sich von Dieter Müller daran erinnern zu lassen, dass in Ostdeutschland viele Christinnen und Christen auf die Straße gingen, um ein Zwangssystem zu beenden: „Nach der großen Befreiung zitierten wir jenen Psalm 126, wie ihn das Volk Israel nach der Babylonischen Gefangenschaft empfunden hatte: ‚Als der Herr das Los der Gefangenschaft Zions wendete, da waren wir alle wie Träumende.‘“

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