Kirche und PolitikElementare Grundregeln

In der Debatte um die Rolle der Kirchen in der Politik dürfen die Kirchen sich nicht den Mund verbieten lassen, ihn aber auch nicht zu voll nehmen.

Ulrich Ruh
Ulrich Ruh, Ehemaliger Chefredakteur der Herder Korrespondenz© Christian Klenk

Dass sich an Äußerungen der designierten Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) über die Rolle der Kirchen in der Politik in den letzten Wochen eine heftige Debatte entzündet hat, ist kein Zufall, sondern hat mit der spezifischen Situation in Deutschland zu tun. Es gibt hierzulande eine unleugbare Ambivalenz zwischen der flächendeckenden institutionellen Präsenz der beiden großen Kirchen und ihrer Einrichtungen einerseits und ihrer Schwäche als gesellschaftlich prägende Kräfte andererseits, die sich an den Austrittszahlen und an der abnehmenden Bindung an die kirchliche Gemeinschaft wie an den christlichen Glauben manifestiert. Die Kirchen verfügen als Großinstitutionen über formelle und informelle Kontakte zu Staat und Parteien, ihre politischen Stellungnahmen interessieren aber meist nicht einmal das Gros ihrer Mitglieder, geschweige denn die größere Öffentlichkeit.

Angesichts dieser Sachlage haben es Stellungsnahmen von Kirchen (seien es die Bischöfe oder Laienverbände) zu politischen Fragen fast automatisch schwer, drohen Missverständnisse und Fettnäpfchen. Es würde den Kirchen beziehungsweise ihren Vertretern deshalb helfen, sich an einigen elementaren Grundregeln zu orientieren. Zum einen müssen kirchliche Stellungnahmen zu politischen Themen jeweils deutlich zu machen versuchen, wie ihre Aussagen in ihrer unverzichtbaren, identitätsstiftenden christlichen Grundbotschaft verwurzelt und wie sie aus dieser abgeleitet werden. Zum anderen müssen sie zwingend dem Stand und der Differenziertheit der jeweiligen profanen Sachdiskussion gerecht werden, das Für und Wider in klarer, nachvollziehbarer Argumentation abwägen, für die eigenen Mitglieder wie für die Öffentlichkeit. Unterkomplexität sollte in keinem Fall eine kirchliche Option sein. Die Kirchen sollten sich schließlich bei ihrem politischen Agieren immer ihre ambivalente und damit auch unbequeme Lage bewusst machen. Sie müssen sich bei keinem Thema, sei es von internen Kritikern oder von Politikern, den Mund verbieten lassen, dürfen diesen aber möglichst nie zu voll nehmen.

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