Verkehrte Welt. Im Rheinland geht es auf die Zielgerade zum Straßenkarneval. Jecke haben das Regiment übernommen, Uniformierte mit Holzgewehren wibbeln mit dem Allerwertesten, Lieder voller Sinn oder Unsinn treffen ins Herz. Die Pappnase signalisiert die Bereitschaft, den grauen Alltag für kunterbuntes Feiern hinter sich zu lassen, rechts und links oder oben und unten auszutauschen, sich verwandeln zu lassen, ja, sich transzendieren zu lassen im Schunkeln mit völlig Unbekannten.
Verkehrte Welt auch in der Politik, nur leider die Kehrseite der Verkehrung. In der Bundesrepublik wurde gewählt und nach dem aggressiven Wahlkampf herrscht Katerstimmung: Wer kann nun noch mit wem regieren? Wo doch der Narr ein Schimpfwort war, wo Geflüchtete als größtes Problem ausgemacht wurden und nicht etwa die Fluchtursachen, wo der Nationalsozialist schlechthin als Kommunist bezeichnet wurde. Wo in der Weltpolitik der demokratisch gewählte US-Präsident Donald Trump den angegriffenen ukrainischen Verbündeten einen Diktator nennt und sich eine US-Boulevardzeitung genötigt sieht, unter ein Bild des russischen Angreifers Wladimir Putin zu schreiben: „This is a dictator“. Und wo eben Präsident Trump bewährte Sicherheitsbündnisse für kurzfristige Deals verramscht. Wer kann nun noch Strategien und Bündnisse durchsetzen, um in dieser fragilen Welt miteinander auszukommen?
Der Karnevalsjeck weiß, dass Frieden halten in der Politik kein Kinderspiel ist. Und doch hält er den Traum aufrecht, in einer verrückten Gemeinschaft einmal Prinz oder Königin, Schneeleopard oder Bär, Held oder Anti-Held zu sein. Es gibt Raum für Unterschiede, das Unvereinbare, das Paradoxe, das Unbequeme, das in jeder Wahrheit liegt.
Gleichzeitig weiß jeder Jeck: Auf Dauer geht das so nicht. Die verkehrte Welt ruft nach der „richtigen“ Welt, die nicht immer zum Feiern einlädt, die aber eine vertraute Ordnung hat – oder haben sollte. Am Aschermittwoch ist alles vorbei, die Pappnase wird abgesetzt. Daran hält sich jeder Jeck: Seine Unordnung ist klar geordnet.
Vielleicht lassen sich Politiker, die es ernsthaft solidarisch meinen, auch daran erkennen: Wir können sie uns mit einer Pappnase vorstellen. Sie nehmen sich selbst nicht so wichtig wie das Gemeinwohl. Sie können auch einmal unbequeme Wahrheiten aussprechen – und wir strafen sie nicht gleich dafür ab. Sie halten sich intrinsisch motiviert an soziale Ordnungen. Und wir, wir können wir uns an die eigene Nase fassen und versuchen, ebenso zu handeln.