„Dominus Iesus“ und die Theologie in AsienZu kurz gesprungen

Die Frage nach dem Verhältnis des Christentums und der Kirche zu den anderen Religionen ist nirgendwo so wichtig und auch so brisant wie in Asien. Das zeigen jetzt auch viele asiatische Reaktionen auf „Dominus Iesus“: Asiatische Theologen sehen sich in ihrer Arbeit durch das vatikanische Dokument missverstanden und beklagen eine zu negative Sicht der anderen Religionen wie des Religionsdialogs.

Die Erklärung der Glaubenskongregation „Dominus Iesus“ hat eine überraschend große Resonanz gefunden und viele, meist kontroverse Reaktionen und Diskussionen ausgelöst. In Europa, und hier vor allem in Deutschland, wurde fast ausschließlich der letzte Teil der Erklärung, der sich mit dem ökumenischen Miteinander der christlichen Kirchen befasst, wahrgenommen. In Asien wurde dagegen vornehmlich auf die eigentliche Intention der Erklärung, auf die „neuen Fragen der Praxis und der theoretischen Vertiefung des Dialogs zwischen dem christlichen Glauben und den anderen religiösen Traditionen“ zu antworten, reagiert. Wie es in der Einleitung heißt, möchte die Glaubenskongregation mit ihrer Erklärung, „den Bischöfen, Theologen und allen katholischen Gläubigen zu dieser Thematik einige unumgängliche lehrmäßige Inhalte in Erinnerung rufen, die der theologischen Forschung helfen sollen, Lösungen zu entwickeln, die mit dem Glaubensgut übereinstimmen und auf die kulturellen Bedürfnisse unserer Zeit antworten“. In Asien hat man verstanden, dass mit den „bestimmten irrigen oder zweideutigen Positionen“, die von der Glaubenskongregation zurückgewiesen werden, Positionen und Vorstellungen zu Fragen der Christologie, des interreligiösen Dialogs, der Theologie der Religionen, der Inkulturation und der Evangelisierung gemeint sind, die vornehmlich von asiatischen Theologen entwickelt wurden.

Die Argumentation der Erklärung ist geprägt von einer befremdenden Gleichzeitigkeit theologischer Aussagen aus ganz verschiedenen Epochen, angefangen von Bibelzitaten über die ersten Konzilien bis in die Gegenwart. Dabei wird in keiner Weise darauf Rücksicht genommen, in welchem Kontext, mit welcher Fragestellung und aus welcher Kenntnis zum Beispiel von den anderen Religionen diese Aussagen ursprünglich gemacht wurden. Hat es denn nicht eine Entwicklung zu einer Weltkirche aus vielen Ortskirchen mit eigenständigen theologischen Ansätzen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gegeben? Karl Rahner hat dies einmal als die kirchengeschichtlich relevanteste Bedeutung des Zweiten Vatikanum hingestellt. Ist die einzigartige Erfahrung der asiatischen Minderheitenkirchen inmitten der großen Weltreligionen in diesem religiös und kulturell so pluralen Kontinent denn nicht zu berücksichtigen, wenn im Namen der gesamten katholischen Kirche Aussagen über das Verhältnis zu den anderen Religionen gemacht werden?

Die Erfahrung der asiatischen Kirchen wurde zu wenig berücksichtigt

Der große theologische Schatz, der im Rahmen der Vereinigung Asiatischer Bischofskonferenzen (FABC) in den letzten 30 Jahren geschaffen worden ist, hat sich bei der Vorbereitung und Durchführung der Asiatischen Synode in Rom doch als einmaliger Beitrag für die Weltkirche erwiesen, der von Johannes Paul II. in seinem postsynodalen Schreiben „Ecclesia in Asia“ gewürdigt und wenigstens teilweise rezipiert worden ist (vgl. HK, Dezember 1999, 603 f.). Das postsynodale Schreiben spricht von einer bestimmten „Pädagogik“, die es in Asien zu beachten gelte, um Jesus in einem schrittweisen Vorgehen als den einzigen Erlöser vorzustellen. Dabei müsse am Anfang Jesus als die Erfüllung der Heilserwartung gezeigt werden, wie sie sich in Mythologien und Volksgut der asiatischen Völker finde. Dabei solle man sich narrativer Mittel bedienen, die den kulturellen Formen Asiens angepasst sind. Die ontologischen Aussagen über Jesus Christus müssten durch Begriffe ergänzt werden, die von Beziehung und von historischen und kosmischen Perspektiven sprächen. Grundsätzlich gelte es immer, die Sensibilitäten der asiatischen Völker zu berücksichtigen. Dabei wird auch ausdrücklich festgehalten, dass „der Glaube, den die Kirche anbietet, nicht in die Begrenzungen des Verständnisses und Ausdrucks nur einer einzigen menschlichen Kultur begrenzt werden darf, weil er alle Kulturen herausfordert, diese Grenzen zu übersteigen und zu neuen Höhen des Verstehens und des Ausdrucks zu gelangen“ (Nr. 20).

In der Erklärung der Glaubenskongregation ist von dieser Rücksichtnahme auf die Sensibilitäten anderer Kulturen und dem Wissen um die Begrenztheit der eigenen Argumentation und Terminologie nichts zu spüren. Es drängt sich vielmehr die Frage auf, ob man in dieser einseitigen Weise heute noch argumentieren darf? Die asiatischen Bischöfe und Theologen haben sicher kein Problem damit zu bejahen, dass Jesus das Subjekt der Verkündigung ist. Ihr Problem ist das Wie und das Wann der Mission. Die Bischöfe Asiens haben erklärt, dass Jesus Christus vorrangig durch das authentische Zeugnis der Gläubigen verkündet wird, die in echten asiatischen Ortskirchen leben, welche in der örtlichen Kultur verankert, offen für sozialen Wandel sind und im Dialog mit den Religionen stehen. In der Erklärung der Glaubenskongregation findet sich, in der Terminologie klassischer Theologie, eine artikulierte Beschreibung, wer Christus ist. Der Schwerpunkt liegt auf der korrekt formulierten Lehre in ihrer Ganzheit, während die asiatischen Bischöfe sich der aktuellen kirchlichen Situation bewusst sind, die gekennzeichnet ist von verschiedenen kulturellen, sozialen, religiösen und politischen Kontexten, Behinderungen und Verfolgungen. Für asiatische Bischöfe und Theologen besteht das Hauptproblem darin, dass die Kirche noch nicht wirklich asiatisch und gleichzeitig authentisch christlich ist. Auf der Asiensynode 1998 hat der japanische Bischof Berard Oshikawa festgestellt: „Es scheint mir, dass die Norm für das christliche Leben, für die kirchliche Disziplin, für die Liturgie und die theologische Orthodoxie auch heute noch die der Kirche des Westens ist. Die Sprache unserer Theologie, der Rhythmus und die Struktur unserer Liturgien, die katechetischen Programme erreichen alle nicht die Herzen der Menschen in Asien.“ Das Papier der Glaubenskongregation präsentiert eine Erfüllungstheologie im interreligiösen Dialog, während die asiatischen Bischöfe ihre Theologen ermutigen, neue Ansätze in verschiedenen kontextuellen Theologien zu finden. Kardinal Julius Darmaatmadja von Jakarta betonte im November 1999 bei der Vorstellung von „Ecclesia in Asia“ in New Delhi, dass die asiatischen Bischöfe einen neuen Weg gefunden hätten, Jesus Christus ihren Mitbürgern nahe zu bringen. Sie sprechen von Jesus als dem Lehrer der Weisheit, dem Heiler, dem Befreier, dem geistigen Führer, dem Erleuchteten, dem Mitleid zeigenden, dem Freund der Armen, dem guten Samariter, dem Guten Hirten, dem Gehorsamen und in ähnlichen Bildern. Im Gebrauch der Geschichten des Evangeliums zeigen sie einen Jesus voller Einfachheit und tiefer Menschlichkeit, der gerade so seine Göttlichkeit offenbart.

Schon im Zusammenhang mit dem Besuch des Papstes in Indien zur Präsentation von „Ecclesia in Asia“ hat der indische Theologe Felix Wilfred darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem Ereignis nicht einfach nur um ein binnenkirchliches Geschehen handelte, zumal der Besuch des Papstes in Indien als Besuch eines ausländischen Staatsoberhaupts begangen wurde. Die Verkündigung des Dokuments hatte vorrangig das Ziel, die Ergebnisse der Asiensynode 1998 aus der Sicht der Papstes vorzustellen. Der Inhalt dieser Botschaft und die sie begleitende Einführung durch Johannes Paul II. hatten aber eindeutig auch politische und gesellschaftliche Implikationen. In einem Rück- und Ausblick auf die Missionsgeschichte des Christentums hatte der Papst davon gesprochen, dass er für das 21. Jahrhundert eine „reiche Ernte“ für das Evangelium in Asien voraussehe. Nicht nur fundamentalistische Hindus, sondern auch weite Teile der indischen Gesellschaft sahen darin eine Ankündigung verstärkter christlicher Missionsarbeit, die sich notwendigerweise gegen die anderen Religionen richten müsse. Religiöse Führer in Indien und anderswo in Asien fragten sich, ob damit das Ende der Bemühungen um interreligiöse Verständigung und interreligiösen Dialogs seitens der katholischen Kirche zu sehen sei. Kritisch wurde wieder einmal gefragt, ob die angeblich neue Einstellung der katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil letztlich nichts anderes als nur eine taktische Maßnahme darstelle, das Ziel der Bekehrung, das in der direkten Missionierung nicht habe erreicht werden können, nun auf dem Weg des Dialogs zu versuchen. Das Buch des bekannten indischen Journalisten und Politikers Arun Shourie „Ernten unserer Seelen. Missionare, ihre Absichten und Ansprüche“ (Harvesting Our Souls. Missionaries, their design, their claims, New Delhi 2000), das er in Reaktion auf die Papstrede Anfang dieses Jahres veröffentlichte, hat diese Bedenken auf scharfe Weise artikuliert und für ein breiteres Publikum dargestellt.

Welchen Wert haben die päpstlichen Gesten?

Wie kommt es dann, dass die Glaubenskongregation so gänzlich ohne Gespür für bestimmte heikle Situationen argumentiert? Wenn im Papier der Glaubenskongregation von Jesus als dem einzigen Mittler und von dem Recht der Verkündigung und der Bekehrung gesprochen wird, dann wird vollständig außer Acht gelassen, dass ein solcher Tonfall nicht nur Angehörige der anderen Religionen verletzen muss, sondern auch weitreichende politische Folgen in bestimmten Ländern haben kann. In Indien, wo die christliche Minderheit seit gut zwei Jahren unter starkem Druck steht und verfolgt wird, kam die vatikanische Erklärung für die Scharfmacher auf hinduistischer Seite wie gerufen, weil sie genau ihre Argumentation stützt, dass die Christen die anderen Religionen verachten, dass sie von einer zentralen Stelle in Rom, das heißt aus dem Ausland, gesteuert, nicht wirklich eine eigenständige indische Kirche seien, sondern immer ein „fremdes Element“ bleiben. So forderte der Führer der radikalen Hinduorganisation Rashtriya Swayamsevak (RSS), Kuppahlli Sitharamaiya Sudarshan, die indischen Christen auf, eine unabhängige Kirche zu gründen. Dabei gebrauchte er den von Mahatma Gandhi im Unabhängigkeitskampf Indiens von England geprägten Begriff swadeshi, um seiner Auffassung, dass die indischen christlichen Kirchen sich von der Bevormundung durch „ausländische Kräfte“ befreien sollten, Ausdruck zu verleihen. Auch wenn man diese überspannten Schlussfolgerungen radikaler Hindugruppen nicht überbewerten sollte, machen sie doch grundsätzlich deutlich, dass scheinbar „rein theologische Fragen“, wenn sie das Selbstverständnis auch anderer Religionen berühren, nicht länger nur binnenkirchlich behandelt werden können, sondern die Implikationen für das Miteinander in der multireligiös-multikulturellen Weltgesellschaft eingehend mitbedacht werden müssen. Dies setzt voraus, dass es im Vorfeld solcher Erklärungen, die für die gesamte katholische Kirche sprechen, zu angemessenen Konsultationen kommt. Reaktionen gerade indischer und asiatischer Bischöfe machen deutlich, dass dies im Falle der Erklärung „Dominus Iesus“ nicht geschehen ist.

Trotz der Berufung auf das Zweite Vatikanische Konzil und des Zitierens einiger Stellen aus seiner Erklärung zum Verhältnis der Kirche zu den anderen Religionen bleibt der vorrangige Eindruck, dass es der katholischen Kirche einseitig nur um die Verkündigung geht, wenn sie sich auf „Dialog“ mit den anderen Religionen einlässt und dieser Dialog damit letztlich instrumentalisiert wird. Dieser Eindruck wird verstärkt, weil die anderen Religionen in ihrer Heilsbedeutung auf bloß menschliche Bemühungen um Zugang zum Absoluten reduziert werden. Wenn eingeräumt wird, dass es für einzelne Angehörige aus den anderen Religionen eine Heilsmöglichkeit gibt, dann erscheint diese sich eher trotz ihrer Zugehörigkeit als aus dieser heraus zu ergeben. Es findet sich letztlich keine Anerkennung für die positiven Werte in der Spiritualität, der Gebets- und Meditationspraxis und den ethischen Vorschriften, die doch erst die Mitglieder dieser Religionen für das Wirken des Heiligen Geistes disponieren. Haben diese Religionen wirklich keinerlei Platz in Gottes Heilsplan? Kann und muss es wirklich immer noch das Ziel der christlichen Mission sein, die Bekehrung der ganzen Menschheit erreichen zu wollen? Dies angesichts der klaren Aussage der Statistik, nach der der Anteil der Christen an der Weltbevölkerung – trotz der großartigen Erfolge der christlichen Mission gerade im 20. Jahrhundert – weiter rückläufig ist? Sicher gilt der Satz: „Der Heilige Geist führt keine Statistik“ und auch die Aussage von der Kirche als „Sakrament des Heils für die ganze Menschheit“. Aber es ist doch nicht zu übersehen, dass es wohl nicht nur am Mangel an geeigneten Missionsmethoden, fehlendem Missionspersonal und ähnlichen Faktoren liegt, dass die christliche Mission keinen durchschlagenden Erfolg hat. Zum Thema „Christenheit als Minderheit“ haben nicht nur Theologen wie Karl Rahner und Yves Congar, sondern hat auch Joseph Ratzinger unter dem Stichwort „Stellvertretung“ früher Erhellendes und Weiterführendes gesagt.

Bei seinen Reisen hat Johannes Paul II. auf allen Stationen immer den Kontakt zu Vertretern der anderen Religionen gesucht und mit Gesten und in Erklärungen seine Wertschätzung der anderen Religionen zum Ausdruck gebracht. Es bleibt daran zu erinnern, dass in Assisi 1986 der Papst einen Schritt getan hat, der in seinen theologischen Implikationen weit über das hinausgeht, was in der Erklärung der Glaubenskongregation jetzt einschränkend festgestellt wird. In welchem Gegensatz steht ihre Tendenz, die anderen Religionen abzuwerten und sie auf die menschliche religiöse Erfahrung gleichsam einzuschränken, zu den wiederholten Äußerungen und Gesten des Papstes in der Begegnung mit Vertretern der anderen Religionen? War das Geschehen von Assisi wirklich eine Begegnung, wo Katholiken und Orthodoxe als vollwertige Christen, die protestantischen Vertreter nur als Vertreter „kirchlicher Gemeinschaften“ und die übrigen Religionsvertreter nur als Ausdruck „menschlicher Erfahrung“ miteinander zu tun hatten? Gilt die mehrfach wiederholte Äußerung Johannes Pauls II., dass jedes echte Gebet ein Gebet im Heiligen Geiste sei, dann noch?

Asiatische Christen schätzen die religiösen Vorstellungen ihrer Vorfahren

Die Glückwünsche des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog bei den Hochfesten der anderen Religionen – zum Ende des Ramadan bei den Muslimen, zum Fest des Paranirvana des Buddha, zu Diwali, dem Lichtfest der Hindus, zum Neujahr bzw. Jom Kippur bei den Juden – gehören zum festen Programm dieser päpstlichen Einrichtung. Welchen Stellenwert haben solche Äußerungen? Sind sie nur Kosmetik, oder steht hinter der offiziell bezeugten Hochachtung vor diesen Festen tatsächlich nicht mehr als die Hochachtung vor Praktiken, die sich zwar religiös geben, aber im theologischen Verständnis im Bereich der menschlichen Sehnsucht nach dem Heiligen bleiben, ohne den Charakter eines theologalen Glaubens erreichen zu können? Der Blick in die Geschichte ist meistens hilfreich, um für Fragen der Gegenwart Antworten zu finden und zugleich zu vermeiden, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Es ist wohl nicht abwegig, bei der Diskussion um Fragen des religiösen Pluralismus, der Begegnung mit anderen Religionen und der Darstellung der christlichen Lehre auf die Erfahrungen im so genannten „Ritenstreit“ in der Missionsgeschichte Asiens, angefangen im 17. Jahrhundert hinzuweisen. Damals ging es vordergründig darum, ob die neubekehrten asiatischen Christen ihre Ahnen, wie es die Tradition verlangte, auch nach der Taufe weiterhin ehren und so in spiritueller Verbindung mit ihnen bleiben durften oder ob die Hinwendung zum Christentum eine Abkehr von den damit verbundenen Praktiken notwendig verlangte, weil damit ein „Ahnenkult“, das heißt eine mit dem Christentum nicht zu vereinbarende Form der Idolatrie gegeben sei. Rom hat damals die Entscheidung getroffen, dass es sich dabei um einen „Ahnenkult“ und nicht, wie die Verteidiger der toleranten Position argumentierten, um eine „Verehrung“ und „Achtung“ der Ahnen handele, die keine versteckte oder offene Form eines „Götzendienstes“ darstelle. Mit den späteren Korrekturen dieser Verurteilung der Ahnenverehrung, die in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts für Japan und Korea von Rom her getroffen wurden, sind kirchliche Formen der Ahnenverehrung in den asiatischen Kirchen zwar möglich geworden. Die negativen Auswirkungen auf die christliche Mission in China, Japan, Korea und Vietnam konnten allerdings nicht mehr rückgängig gemacht werden. Wie bei allen Vergleichen ist die gegenwärtige Situation nicht einfachhin dieselbe und das anstehende Problem nicht identisch mit denen des Ritenstreits. Aber es gibt durchaus analoge Fragestellungen, die es zu bedenken gilt. Beim Ritenstreit ging es darum, inwieweit das Christentum als eine Religion auftritt, die mit Jesus Christus als dem einzigen Erlöser die Erfüllung und damit die Aufhebung aller bisherigen Religionen darstellt. Eine Bekehrung zum Christentum bedeutet dann auch immer den Bruch mit den bisherigen religiösen und kulturellen Vorstellungen. Dies ist nicht nur eine individuelle Entscheidung des jeweils Einzelnen, der sich zum Christentum bekennt, sondern zugleich auch eine Entscheidung im Hinblick auf die „Ahnen“. Asiatische Theologen haben nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil begonnen, neue Wege der Theologie der Religionen zu gehen. Dabei nehmen sie für sich in Anspruch, bei der Frage nach dem Stellenwert der anderen Religionen, ihrer Heiligen Schriften und ihrer Religionsstifter auf eine neue, bisher in der Theologiegeschichte des Christentums in dieser Form noch nicht gegebenen Problemstellung eingehen zu müssen und dies auch zu dürfen. Dabei sind sie sich bewusst, dass sich die Kirchenväter in den ersten Jahrhunderten des Christentums zum Teil schon mit dieser Fragestellung befasst und Antworten vorgestellt haben. Zugleich haben sie schmerzlich die Unzulänglichkeiten der negativen Theologie der Religionen verspürt, die die christlichen Missionare früher bei ihren Missionsbemühungen vertraten. Die Heilssituation ihrer Vorfahren wurde von den Missionaren als schlechthin negativ und die religiösen Vorstellungen im Hinduismus, Buddhismus und Islam als in jeder Hinsicht verderblich und für das Heil schädlich dargestellt.

Man braucht nur die Missionsenzykliken der Päpste zu lesen, wo die Situation der „Heiden“ pauschal in dunklen Farben geschildert wird, um zu begreifen, dass asiatische Christen hier betroffen reagieren und die Beschreibung der religiösen Vorstellungen ihrer Vorfahren nur als verzeichnet ansehen können. Asiatische Christen haben deutlich gemacht, dass sie sich durchaus im vollen Sinn als Christen verstehen, aber zugleich die religiösen Vorstellungen und Werte, die für ihre Ahnen so wichtig waren, nicht verwerfen, sondern bewahren und beibehalten wollen. Das, worauf die Ahnen gehofft, wie sie gebetet und an was sie geglaubt haben, sowie die Heiligen Schriften und Gebete stellen in ihren Augen Werte dar, die durchaus vom Heiligen Geist stammen und damit nicht einfachhin in das Christentum hinein aufgehoben ist. Die Erfahrungen der Missionsgeschichte und ihre theologischen Überlegungen führen sie zu einer neuen Theologie der Religionen, die nicht länger die „Aufhebung“ dieser Religionen in das Christentum hinein als die einzig mögliche Position ansieht, sondern durchaus mit der Möglichkeit rechnet, dass diese Religionen auch als Wege zum Heil eine bleibende Stellung neben und mit dem Christentum haben. In Indien hat man verstanden, dass „Dominus Iesus“ in einer ganzen Reihe von Punkten sich direkt oder indirekt gegen Positionen wendet, die von indischen Theologen vertreten werden. In Reaktion auf Äußerungen von Kardinal Edward Cassidy in diese Richtung stellt der 92-jährige Nestor der indischen Theologie, der Jesuit Josef Neuner, der jahrzehntelang in Pune ganze Generationen von indischen Priestern und Theologen ausbildete, nüchtern fest: „Rom hat den Verdacht, dass indische Theologen die Einzigartigkeit Jesu Christi als Heilsmittler in Frage stellen.“

Aus Indien kommen viele kritische Stimmen

Der Jesuit Errol D’Lima, Theologieprofessor in Pune und Präsident der Indischen Theologischen Vereinigung, bedauert, dass der Vatikan offensichtlich die Situation und die theologischen Implikationen des kulturellen und religiösen Pluralismus in Asien nicht hinreichend verstehe. Die Ursache liegt für ihn darin, dass indische Theologen eine von Rom sehr verschiedene Weltsicht haben, die aus der lebendigen Erfahrung, eine Kirche im Dialog mit anderen Religionen zu sein, erwachsen ist. Francis D’Sa, ebenfalls Jesuit und in Pune als Theologieprofessor tätig, unterstützt diese Sicht und betont, indische Theologen hätten die Aufgabe, den christlichen Glauben in einer Sprache auszudrücken, die auch außerhalb der Kirche von Angehörigen anderer Religionen verstanden wird. Die Erfahrungen, in einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft zu leben, bleibt jenen verschlossen, die wie die Europäer immer noch in fast monokulturellen Umfeldern leben. Auf dem Weltmissionskongress in Rom im Oktober 2000 griff der indische Theologe George Karakunnel den Begriff der „Einzigartigkeit Jesu Christi“ auf, um zu zeigen, wie dieser im indischen Kontext nur als Überlegenheitsanspruch des Christentums gegenüber allen Religionen verstanden wird, so den religiösen Frieden stört und zu Spannungen mit Angehörigen der anderen Religionen führt. Besser sei es, eine Haltung einzunehmen, die nicht eine einfache Gleichheit aller Religionen theoretisch postuliere, sondern von der persönlichen Erfahrung ausgehe, die jeder vom letzten Geheimnis habe. Durch die sei man imstande, andere, ähnliche Erfahrungen zu verstehen und zu respektieren.

Ähnlich hat sich schon früher Michael Amaladoss geäußert, als er die christologischen Aussagen von „Ecclesia in Asia“ untersuchte. Indische Theologen halten demnach daran fest, dass „Jesus Christus einzigartig für den Christen ist, insoweit er das definitive, wenn auch nicht erschöpfende Symbol der Gottes-Erfahrung in dieser Welt ist. Aber die Einzigartigkeit Jesu entwertet nicht notwendig die Symbole in den anderen Religionen“. Das Problem liegt also nicht so sehr im Inhalt, sondern in der Form, in der dieser ausgedrückt wird. Amaladoss kritisiert, dass das römische Lehrschreiben eine lineare Sicht der Heilsgeschichte präsentiere, in der die anderen Religionen nur natürliche Offenbarung enthalten, oder höchstens Samen des Wortes, die im Christentum ihre Erfüllung finden. Diese Sicht lasse es an Respekt vor dem Wirken des Geistes in anderen Religionen fehlen. Gegenüber einer transzendentalen Christologie befürworteten indische Theologen eine historisch-eschatologische Sicht der Erlösung. Andere indische Theologen, so der Exeget und Jesuit Rui de Menezes, stellen in Reaktion auf „Dominus Iesus“ fest, die Vertreter der Glaubensorthodoxie würden in Härte und einseitigem Betonen dogmatischer Formeln nicht dem Jesus der Evangelien gerecht. J. Kavunka bedauert, dass die römische Kurie den asiatischen Theologen misstraue und ihre Treue zur traditionellen Christologie und Missiologie anzweifele. Für asiatische Theologen steht das Leben und Werk Jesu Christi im Zentrum der Christologie und nicht das Problem seiner metaphysischen Identität, das während der Inkulturation des Christentums in griechisches philosophisches Denken so wichtig wurde. Asiatische Theologen sind überzeugt, dass Jesus nicht so sehr auf die Lehre Wert legte, sondern auf die Elemente, die das Leben und das Verhalten zum Nächsten beeinflussen. Es ging ihm um die prophetische Mission, die fundamentale Option für die Armen zu leben, die das zentrale Thema einer asiatischen Christologie ist. Der Missionstheologe Anto Karokaran stellt ein neues Missionsmodell in Antwort auf die Herausforderung für die christliche Minderheit in Indien durch die Herausforderung der Hindutva-Ideologie der radikalen Hindus vor. Die Kirche in Indien habe Jahrhunderte lang mit einer geborgten Identität gelebt. Jetzt sei sie herausgefordert, alle echten sozialen, kulturellen und religiösen Entwicklungen des Landes sich zu eigen zu machen, um von innen her wirklich „indisch“ zu werden, wenn sie überleben will. Das Christentum kann ihm zufolge seine Mission nur erfüllen, wenn es Teil der indischen Suche nach Identität und Erfüllung in der Geschichte wird.

Aus Vietnam meldet sich der franziskanische Theologe Guy-Marie Nguyen Hong Giao zu Wort und bemängelte am römischen Dokument, dass es zwar oft Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils zitiere, dies aber in einer vom „Geist des Konzils“ abweichenden defensiven und negativen Weise tue. Während die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils eine offene und freundliche Haltung gegenüber der Welt und „den anderen“ gezeigt hätten, sei das Papier aus dem Vatikan bestimmt von einer überempfindlichen und ängstlichen Haltung gegenüber Erscheinungen eines religiösen Pluralismus und einer zunehmend säkularisierten Welt. Das römische Papier bestätige die negative Erfahrung, die Katholiken in Vietnam in der Vergangenheit mit Rom gemacht hätten, als sie sich in ihrer besonderen Situation unter kommunistischer Herrschaft nicht verstanden fühlten. Auch die Erklärung der Glaubenskongregation sei geprägt von einem integralistischen Einschärfen dogmatischer Formulierungen und Prinzipien um jeden Preis, ohne die kulturellen und religiösen Verschiedenheiten in der Weltkirche zu berücksichtigen. Es sei offenbar die Eigenart westlichen Denkens, in exzessiver Weise Glaubensinhalte zu analysieren, zu definieren und so zu beherrschen. Dies führe dazu, dem intellektuellen und rationalen Verstehen den Vorrang vor dem mystischen Erfahren und Verkosten zu geben. Auch die Bedeutung des liturgischen Feierns der göttlichen Geheimnisse werde damit herabgesetzt. Noch schwerwiegender sei, dass die Verkündigung bestimmter Glaubensformeln scheinbar oder tatsächlich den Vorrang vor der Praxis des Glaubens im Dienst an den Nächsten und Taten der Nächstenliebe erhalte. Dieses Vorgehen und diese Einstellung entsprächen aber nicht der Pädagogik, wie sie Gott und Jesus Christus in der Heilsgeschichte offenbart hätten. Ähnlich äußerte sich Bao Tinh Vuong Dinh Bich, Superior der Bruderschaft Unserer Lieben Frau von den Armen, der meinte, wenn die Autoren der Erklärung nur einige Wochen in Asien verbracht hätten, wo die Katholiken fast überall eine kleine Minderheit sind, würden sie die religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Implikationen ihres Lehrdokuments verstanden und berücksichtigt haben. Etwas resigniert stellt er fest: „Während Jesus den östlichen Weg der Dialektik der Liebe uns gezeigt hat, der inklusiver Natur ist, wie die Heilung von Ungläubigen zeigt, wird uns gelehrt, exklusiv zu sein“ (UCA-News, 18.9.2000).

Kommunikationsproblem als strukturelles Defizit

Aus den Philippinen meldete sich Bischof Francisco Claver von Bontoc zu „Dominus Iesus“ mit der Feststellung zu Wort: „Die Erklärung ruft etwas in Erinnerung, das wir mit der Kirche vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil assoziieren und das wir, wenn wir predigen, zu vermeiden trachten: einen Triumphalismus, von dem wir annahmen, dass er der Vergangenheit angehört.“ Er fügte hinzu: „Ich habe den Verdacht, dass es dieser Triumphalismus ist, der für das Scheitern der Kirche verantwortlich ist, in Asien Fuß zu fassen. Gegenüber den stolzen religiösen Traditionen und alten Kulturen in Asien ist dies ein tödlicher Ansatz.“ Wenn man fragt, was eigentlich die vorwiegend negativen Reaktionen auf die Erklärung der Glaubenskongregation ausgelöst hat, wird man neben den genannten inhaltlichen und formalen Gründen ein Kommunikationsdefizit zwischen der römischen Zentrale und den Ortskirchen nennen müssen, das zugleich ein Strukturproblem deutlich macht. Die Glaubenskongregation erhebt den Anspruch, verbindlich für die Gesamtheit der Kirche in Fragen des Glaubens und der Lehre sprechen zu können und zu müssen. Wie die vorliegende Erklärung zeigt, lässt sie dabei die inzwischen gewachsene Vielfalt der theologischen Methode in den einzelnen Kontinental- und Ortskirchen außer Acht. Weiterhin wird nicht auf die Verschiedenheit des jeweiligen Kontextes eingegangen, in den hinein bestimmte Aussagen zur Christologie, zu den anderen Religionen, zur Evangelisierung und Inkulturation gemacht werden. Das Bewusstsein, dass die Rezeption dieser Aussagen sowohl innerkirchlich wie auch außerhalb des kirchlichen Rahmens in der Gesellschaft allgemein, je nach dem, ob sie in Europa oder im multireligiösen und multikulturellen Asien, wo die Christen kleine Minderheitenkirchen sind, sehr unterschiedlich ausfallen wird, fehlt vollkommen. Die negative Reaktion auf die Erklärung der Glaubenskongregation innerhalb der asiatischen Kirchen ist auf diesen Tatbestand zurückzuführen. Dabei hatten die Bischöfe nach der Asiensynode eigentlich den Eindruck gewonnen, dass es ihnen gelungen sei, den römischen Instanzen den Wert und die Bedeutung ihrer theologischen Eigenart und Arbeit auch für die gesamte Weltkirche überzeugend vorgestellt zu haben. In Antwort auf das Vorbereitungspapier (Lineamenta) hatten die asiatischen Bischofskonferenzen ihre auf den jeweiligen Kontext ihrer Ortskirchen bezogenen Vorstellungen in das Arbeitspapier (Instrumentum laboris) der Synode einbringen können. Auch auf der Synode selbst hatten sie in ihren Beiträgen deutlich gemacht, wie sehr die theologische Arbeit in den einzelnen Ortskirchen, aber besonders innerhalb der Vereinigung Asiatischer Bischofskonferenzen Früchte getragen hat. Das postsynodale Schreiben hat immerhin viele Beiträge der asiatischen Bischöfe aufgegriffen. Allerdings steht in „Ecclesia in Asia“ die Verkündigung der einzigartigen Heilssendung Jesu Christi an erster Stelle, während die asiatischen Bischöfe den Dialog mit den Religionen, den Kulturen und die Option für die Armen vorrangig sehen. Das bedeutet nicht, dass nicht auch für sie die bleibende Verpflichtung zur Evangelisierung und direkten Verkündigung einen hohen Stellenwert einnimmt. Nur würden sie die Umsetzung dieser Forderung und die Art und Weise, wie dies im konkreten Fall geschehen soll, stärker von den kontextuellen Gegebenheiten abhängig machen. Das negative Echo auf „Dominus Iesus“ kann hoffentlich dazu beitragen, auf die bestehenden Kommunikationsdefizite innerhalb der Kirche und in der Kommunikation mit der Gesellschaft hinzuweisen und so Anstoß zu geben, die damit angezeigten strukturellen Probleme positiv anzugehen. Das könnte dem Anliegen gerecht werden, das am Ende der Erklärung angesprochen wird, von der Hoffnung, die den Glauben der Kirche beseelt, „überzeugend und eindringlich Rechenschaft zu geben“. Fraglich ist allerdings, ob die Arbeitsweise der Glaubenskongregation, die sich als Zentralbüro für alle theologischen Fragen versteht, in der jetzigen Form noch zeitgemäß ist.

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