Ein Gespräch mit dem Umweltforscher Martin Jänicke„Das Problembewusstsein fördern“

In der Umweltpolitik muss sehr viel mehr darüber nachgedacht werden, wie ihre Handlungsfähigkeit verbessert werden kann. Dies fordert Martin Jänicke, Leiter der Berliner Forschungsstelle für Umweltpolitik und Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen in einem Gespräch über das Umweltbewusstsein der Deutschen, die Chancen für die Nutzung erneuerbarer Energien und die rot-grüne Umweltpolitik. Die Fragen stellte Alexander Foitzik.

HK: Herr Professor Jänicke, mit der BSE-Krise und der durch sie ausgelösten Debatte sind auch Umwelt und Umweltschutz wieder auf die politische Tagesordnung gelangt. Braucht es offenkundig Krisen wie BSE oder Katastrophen – die Parallele wurde in den letzten Monaten ja durchaus gezogen – wie Tschernobyl, um die Umwelt in Erinnerung zu rufen und damit auch günstigere Handlungsbedingungen für die Umweltpolitik zu schaffen?

Jänicke: Was man hier sehen kann, ist, dass für Umweltpolitik immer wieder situative Handlungschancen entstehen, die man gezielt nutzen kann. Umweltpolitische Lernprozesse verlaufen nicht kontinuierlich, sondern schubartig, oft krisenvermittelt, aber nicht nur. Es sind keinesfalls nur Ereignisse wie die Katastrophe von Tschernobyl, die dem Umweltschutz nützen, sondern beispielsweise auch bahnbrechende Veröffentlichungen. So hatte etwa „Grenzen des Wachstums“ im Jahr 1972 einen Schockeffekt für die Intelligenz ebenso wie für die technokratische Führungsschicht in vielen Ländern. Auch neue Technologien oder beispielsweise auch eine plötzliche Ölpreissteigerung können umweltpolitische Lernprozesse neu in Gang bringen.

HK: Was sollen dann Umweltpolitiker aus der aktuellen Debatte wie der Beobachtung solcher umweltpolitischer Lernprozesse im Allgemeinen lernen?

Jänicke: Entweder man wartet gut vorbereitet, oder man führt solche Situationen selbst herbei. Beispielsweise hat das niederländische Umweltamt 1988 ein ausgesprochen beunruhigendes Szenario dazu entwickelt, was geschieht, wenn im Land nicht mehr für den Umweltschutz getan wird. Diese Studie hat in Holland eine Umweltpolitik möglich gemacht, die heute weltweit hohes Ansehen genießt. Im Fall der BSE-Krise konnten zwei deutsche Staatssekretäre im Umweltministerium und im Landwirtschaftsministerium fertige Papiere aus der Schublade ziehen, die man in solchen Ausnahmesituationen eben immer schon zur Verfügung haben sollte.

„Die umweltpolitischen Erfolge der letzten Jahrzehnte haben eine Entwarnungswirkung“

HK: Lässt sich die aktuelle umweltpolitische Debatte überhaupt noch sinnvoll mit den Diskussionen und Auseinandersetzungen in den achtziger Jahren und Anfang der neunziger vergleichen?

Jänicke: Nein, wir haben heute ganz andere Handlungskapazitäten, starke Ministerien und Umweltämter, große Umweltverbände; allein der Deutsche Naturschutzring hat 5,2 Millionen Mitglieder. Die großen Tages- und Wochenzeitungen etwa verfügen heute praktisch alle über Umweltredaktionen. Es sind wirklich viele Handlungsmöglichkeiten entstanden, die man nur nutzen muss – am besten unter dem Druck solcher Ausnahmesituationen.

HK: Eine durchaus alarmierende Entwicklung stellt auch die drastische Veränderung des Weltklimas dar. Gerade haben Experten der Vereinten Nationen ihre erschreckenden Prognosen vorgelegt und vor den verheerenden Folgen einer viel rasanter als angenommen verlaufenden Weltklimaerwärmung gewarnt. Aber hierzulande lösen solche Szenarien kaum Besorgnis oder gar weitreichende Bewusstseinsprozesse aus. Warum?

Jänicke: Klimaschutz und insbesondere die Frage nach der Reduzierung der Treibhausgase sind sehr komplexe und schwierige Themen. Man muss aber umweltpolitische Lernprozesse auch daran messen, wie es um die realen Handlungspotenziale bestellt ist. Ich will auch dem öffentlichen Bewusstsein, was den Klimawandel betrifft, kein so schlechtes Zeugnis ausstellen. Dabei ließ sich im letzten Jahr in Großbritannien eine interessante Erfahrung machen. Anlässlich der gravierenden Überschwemmungen erklärte die britische Regierung offiziell und öffentlich, die Ursachen für diese Überschwemmungen lägen eben nicht nur beim Wetter, sondern ebenso in der vom Menschen mit verantworteten Klimaverschiebung. Sie verband diese Erklärung mit einem deutlichen Appell, der auf große Resonanz in der Bevölkerung stieß. Häufig fehlt in der Umweltpolitik auch so etwas wie eine offizielle förmliche Problemdefinition. Umgekehrt zeigt sich auch an diesem Beispiel, dass Umweltpolitiker mit einigem Geschick ihre Handlungsbedingungen verbessern können, indem sie ein Problembewusstsein fördern.

HK: Wie steht es nun insgesamt um das offenbar von starken Auf- und Abschwüngen geprägte Umweltbewusstsein in Deutschland? Umfragen zufolge bezeichnen mehr als die Hälfte der Deutschen Umweltschutz als wichtig oder sogar sehr wichtig.

Jänicke: Wir müssen dazu mehrere demoskopische Kurven betrachten. Die eine schwankt sehr stark, abhängig von der wirtschaftlichen Konjunkturlage. Vereinfacht gesprochen sinkt das allgemeine Umweltbewusstsein, wenn die Arbeitslosenrate hoch ist. Eine andere Kurve zeigt eine ganz andere Tendenz. Seit Mitte der siebziger Jahre ist das Umweltbewusstsein der Verbraucher jedes Jahr kontinuierlich gestiegen. Innerhalb der großen Gruppe derer, die Umweltaspekte für wichtig halten, gibt es noch einmal so etwas wie einen harten Kern. Diese Gruppe, für die Umweltfragen eine besondere Relevanz besitzt, ist bis Mitte der neunziger Jahre deutlich gewachsen, hat dann etwas abgenommen und konsolidiert sich nun in den letzten Jahren. Fragen die Demoskopen aber nach dem wichtigsten Problem für die Zukunft, steht die Umweltfrage bei einem Großteil der Deutschen an erster Stelle.

HK: Wenn das Umweltthema in Deutschland eine dermaßen hohe Bedeutung besitzt, müssten Umweltpolitiker hierzulande geradezu über traumhafte Rahmenbedingungen verfügen...

Jänicke: Wir beobachten natürlich auch gegenläufige Tendenzen, die beispielsweise mit der Kommerzialisierung der Medien und der damit einhergehenden Entpolitisierung der Berichterstattung zusammenhängen. Entscheidend aber ist, dass auch die umweltpolitischen Erfolge der letzten Jahrzehnte eine gewisse Entwarnungswirkung haben, vor allem dort, wo sie sichtbar sind. Luft- und Gewässerverschmutzung haben wirklich abgenommen. Die ungelösten Umweltprobleme, die wie der Klimawandel, die Grundwasserverschmutzung, die Artenvernichtung oder der Flächenverbrauch kaum wahrnehmbar sind und deren Auswirkungen erst nach Jahrzehnten sichtbar werden, schaffen eben keinen unmittelbaren Handlungsdruck.

„Deutschland hat eine Vorreiterrolle bei den erneuerbaren Energien“

HK: Verläuft dann aber nicht die ganze Umweltdiskussion reichlich schief, und müsste sich die Umweltpolitik vor allem einem offenkundigen Vermittlungsproblem stellen?

Jänicke: Der umweltpolitische Diskurs ist seit über zehn Jahren nur noch auf Problemlösungen fixiert. Diese „Problemvergessenheit“ aber führt dazu, dass es beispielsweise in der Auseinandersetzung über die Ökosteuer gar nicht mehr um die Klimaentwicklung und die wirklich bedrohlichen Szenarien geht. Stattdessen verweist man darauf, dass auch andere Länder eine solche Ökosteuer haben oder argumentiert mit den Chancen für die Senkung der Lohnnebenkosten in Deutschland. Wenn aber die Politik aufhört, Probleme zu thematisieren und nur noch schöne Lösungen und Visionen anbietet, bleibt die breite Öffentlichkeit desinteressiert. Zudem ist die umweltpolitische Diskussion ohnehin zu einer reinen Expertensache geworden. Die globalen ökologischen Probleme verlieren sich so im Stimmengewirr von Spezialisten für Detailfragen.

HK: Gerade bezüglich der Umweltpolitik war der Wechsel zu einer rot-grünen Bundesregierung mit hohen Erwartungen verknüpft. Wie steht es nun in der Mitte der Legislaturperiode um die Umweltpolitik? Wie groß ist überhaupt der umweltpolitische Handlungsspielraum der Bundesregierung?

Jänicke: Bei der Industrie, und dies ist nach wie vor entscheidend in der Umweltpolitik, hatte die neue Regierung keinerlei Vertrauensvorschuss. An allen Stellen wurde erst einmal geblockt. Das war 1982 anders. Der Regierung Kohl traute man von vornherein ein freundschaftliches Verhältnis zur Industrie zu. Der in der Tat aber nicht sehr eindrucksvolle Start von Rot-Grün hatte auch damit zu tun, dass man sich in der Umweltpolitik zunächst gar nicht viel vorgenommen hatte. Vieles, was in den Koalitionsvereinbarungen stand, war entweder schon eingeführt oder aber Bestandteil der EU-Umweltpolitik. Beispielsweise wird das sogenannte Drei-Liter-Auto schon seit 1997 gefördert; bei der Schaffung von Biotopverbundflächen gibt die EU schon zehn Prozent als Untergrenze vor. Deutschland ist hier deutlich im Verzug.

HK: Mit dem nach einer hoch emotionalisierten Debatte begonnenen schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie und weitreichenden Maßnahmen im Energiebereich hat die Regierung nun aber doch auch eigene Marken gesetzt. Wie ist beides im umweltpolitischen Gesamtkontext zu bewerten?

Jänicke: Es gibt kein Land der Welt, das mit einem relativ gesehen sehr hohen Kernenergieanteil einen generellen Ausstieg plant, wenn auch über einen längeren Zeitraum hinweg. Umgekehrt zeigt sich, dass die deutsche Entscheidung die Diskussion bei Nachbarn und anderen Ländern wie etwa Japan deutlich beeinflusst. So hat beispielsweise die Türkei ihr Kernenergievorhaben mit ausdrücklichem Verweis auf Deutschland gestoppt.

HK: Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, dessen stellvertretender Vorsitzender Sie sind, hat den Ausstieg aus der Atomenergie unterstützt. Warum?

Jänicke: Für den Umweltrat war der entscheidende Aspekt die – wie von Expertenseite überzeugend herausgearbeitet wurde – völlig ungelöste Frage der Endlagerung, rechnet man vor allem einmal in größeren, „geologischen“ Zeiträumen. Gegenüber diesem Problem wurden Betriebs- oder Transportrisiken weniger stark gewichtet.

„In der Landwirtschaft wird der Naturschutz deutlich handlungsfähiger“

HK: Was bedeutet der Ausstieg für die angestrebte Reduktion der CO2-Emissionen? Ist so das ehrgeizige Ziel – eine Reduktion um 25 Prozent bis zum Jahr 2005 – noch zu erreichen?

Jänicke: Dies bleibt ein wichtiger Punkt, wobei man nicht vergessen darf, dass sich der Ausstieg über 20 Jahre hinzieht – ein langer Zeitraum also, in dem man die Nutzung erneuerbarer Energien in großem Umfang aufbauen kann. Solche Erwartungen sind keineswegs unrealistisch. Was die Primärenergie betrifft, beträgt der zu ersetzende Anteil der Kernenergie nur etwa 13 Prozent; ihr Anteil an der Stromerzeugung liegt allerdings bei rund einem Drittel. Aber allein in der sogenannten Kraft-Wärme-Koppelung liegt ein enormes, bei weitem noch nicht ausgeschöpftes Potenzial. In Dänemark werden etwa 50 Prozent Strom in Kraft-Wärme-Koppelung gewonnen. Das heißt, eine ganze Menge Strom oder Wärme ist umsonst, kann ohne nennenswerte zusätzliche Brennstoffe erzeugt werden. Den Ausbau dieser Technik und das Potenzial an erneuerbaren Energien in Rechnung gestellt, bildet der schrittweise Atomausstieg in Bezug auf die Reduktion der CO2-Emission kein unlösbares Problem.

HK: Welche Auswirkungen wird der Ausstieg auf den Wirtschafts- und Forschungsstandort Deutschland haben? Die Kritiker beschwören ja einmal mehr eine deutliche Schwächung der Konkurrenzfähigkeit grüner Symbolpolitik zuliebe...

Jänicke: Der ganze Ausstiegs- und Umorientierungsprozess wird die Vorreiterposition, die Deutschland mittlerweile bei den erneuerbaren Energien übernommen hat, weiter stärken. Gerade hier lässt sich vorexerzieren, dass ein scharfes Tempo in Richtung zukunftsgerichteter Technologie einem Land auch Wettbewerbsvorteile schafft; insbesondere im Qualitätswettbewerb, wo es um neue innovative Techniken geht. Als umweltpolitisches Ziel bleibt der Ausstieg freilich anspruchsvoll, insoweit man aus der Kernenergie und den fossilen Brennstoffen eben gleichzeitig aussteigen muss. Aber ich bin keineswegs pessimistisch. Wir besitzen das technische Potenzial, alle Energie, die wir brauchen, mit alternativen Energien zu erzeugen. Zunächst wird dies zwar mit höheren Energiepreisen verbunden sein. Im Laufe der Zeit aber werden diese deutlich sinken. Höhere Energiepreise fördern zudem nicht nur einen sparsamen Umgang mit Energie, sondern eben auch innovative Technologien.

HK: Waren demnach die mit der Liberalisierung des Strommarktes purzelnden Preise umweltpolitisch kontraproduktiv?

Jänicke: Nein, der Sachverständigenrat hat dazu die Formel geprägt, dass man die niedrigeren Strompreise braucht, um sich die teureren alternativen Energien leisten zu können. Wenn wir, wie beim Öl, eine immer weitere Verteuerung der Strompreise gehabt hätten, und auf einen sowieso hohen Preis dann noch den höheren für photovoltaisch erzeugten Strom geschlagen hätten, wäre die politische Durchsetzung fast unmöglich geworden.

HK: Im Bereich der erneuerbaren Energien bescheinigen selbst Skeptiker und Kritiker der rot-grünen Bundesregierung den offenkundigen Erfolg...

Jänicke: Das ist wirklich eine Pionierleistung. Dabei hat auf diesem Gebiet auch schon die Regierung Kohl mit dem Stromeinspeisegesetz für erneuerbare Energien einiges geleistet. Die rot-grüne Regierung verschärfte nur, aber in einem überraschenden Ausmaß: fast eine Mark für die photovoltaisch gewonnene Kilowattstunde! Sie hat damit einen Boom ausgelöst, sodass wir schon im Jahr 2005 und nicht erst, wie zunächst geplant, 2010 mit einer Verdoppelung des Anteils der erneuerbaren Energien an der Stromgewinnung rechnen können; vorausgesetzt, diese Dynamik hält an. Dafür sprechen aber beispielsweise schon die enorm gestiegenen Kapitalinvestitionen in diesem Bereich. Selbst der Bundesverband der Deutschen Industrie ist hier voll eingestiegen und rühmt die Vorreiterrolle der deutschen Wirtschaft. Die deutsche Klimaschutzpolitik spielt an diesem Punkt wirklich eine internationale Pionierrolle.

HK: Anfang Februar legte der Bundesumweltminister den Entwurf für die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes vor. Erwartungsgemäß konzentrierte sich in Zeiten von BSE und Maul- und Klauen-Seuche das Interesse vor allem auf den Aspekt Landwirtschaft. Wird der Entwurf insgesamt den hohen Erwartungen gerecht, die gerade die Naturschutzverbände an ein neues Gesetz richten?

Jänicke: Diese grundlegende Reform des Naturschutzgesetzes ist ja über viele Jahre immer wieder gescheitert, und wenn auch hier und da Abstriche gemacht wurden, ein Durchbruch ist jedenfalls gelungen. Ein Vorzug der jetzigen Regelung, wenn sie denn durchkommt, ist beispielsweise die bereits im Koalitionsvertrag zugesagte, im Bundesrecht erstmalig vorgesehene Verbandsklage, allerdings in nur wenigen Bereichen. Positiv zu werten sind ebenfalls eine ganze Reihe von Konkretisierungen, etwa was die sogenannte gute fachliche Praxis in der Landwirtschaft betrifft. Generell wird gerade im Bereich Landwirtschaft der Naturschutz deutlich handlungsfähiger. Die deutsche Regierung ist, was die Landwirtschaft betrifft, die einzige innerhalb der EU, die mit ihrer neuen Ministerin eine wirkliche Vorreiterrolle einnimmt. Länder wie Österreich, die einen Reformweg früher schon befürwortet haben, stellen sich jetzt hinter die Bundesregierung. Allerdings wird sich das, was sich die Deutschen hier vorgenommen haben – etwa die Zwei-Kühe-pro-Hektar-Regelung, das generelle Verbot von Antibiotika in Futtermitteln, die Umorientierung beim Fördermechanismus –, innerhalb der EU nicht rasch durchsetzen lassen. Aber nun spielt zumindest jemand die Vorreiterrolle. Ohne die läuft in der EU-Politik nun einmal nichts.

HK: Was die sogenannte Ökosteuer betrifft, haben die rotgrünen Umweltpolitiker auch unabhängig von wahlkampfstrategisch motivierten Kampagnen, mit einer erschreckend geringen Akzeptanz in der Bevölkerung zu kämpfen. Fast zwei Drittel, glaubt man einschlägigen Umfragen, fühlen sich einfach nur abkassiert. Der ökologische Lenkungseffekt tritt in der aktuellen Debatte völlig in den Hintergrund. Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für die weitere Ausgestaltung der auch in der Koalition selbst kontrovers diskutierten Ökosteuer? Wie kann ihre Akzeptanz gesteigert werden?

Jänicke: Wenn man die Ökosteuer mit einer Verdeutlichung der Klimaproblematik verbunden hätte und sie nicht plötzlich nur noch als Hobby oder Obsession der Grünen rübergekommen wäre, hätte ihre Einführung in Deutschland ähnlich gut gelingen können wie in anderen Ländern auch. Es haben doch in Europa bereits zwölf Länder eine solche Steuer eingeführt. Eine ganze Reihe von ihnen hat diese Steuer bereits in erheblichen Schritten erhöht, die Niederlande etwa und alle skandinavischen Länder. Selbst ein Land mit wirtschaftlichen Problemen wie Slowenien hat eine solche Steuer. Der Widerstand in Deutschland zeigt, wie stark die energieintensiv produzierende „old economy“ nach wie vor ist, gerade auch in ihrem Einfluss auf die Parteien.

„Bei der Ökosteuer nicht immer wieder neu Systemfragen stellen“

HK: Kritik und Widerstände gegen die Ökosteuer beschränken sich allerdings keineswegs auf eine industrielle Lobby, und Streitpunkt ist nach wie vor gerade ihre umweltpolitische Lenkungsfunktion ...

Jänicke: Die Steuer war nicht ideal konzipiert, weil man versucht hat, alle Lobbyinteressen zu befriedigen, alle Probleme, etwa was ihre soziale Ausgewogenheit betrifft, gleichzeitig zu lösen. So wurden immer neue Ausnahmen und Begünstigungen geschaffen, die sogleich wieder neue Begehrlichkeiten weckten. Das hat den politischen Charme dieser Steuer spürbar beeinträchtigt. Mein Haupteinwand aber ist, dass sie keine emissionsbezogene Steuer ist, dass nicht Braunkohle am stärksten, dann Kohle überhaupt, Öl und Gas am wenigsten besteuert werden. Stattdessen wird die Kohle nicht, beziehungsweise nur über den Strom besteuert. Dies muss in späteren Stufen in jedem Fall korrigiert werden.

HK: Braucht es eine eindeutigere und identifizierbarere Bindung an einen ökologischen Nutzen? Darf weiterhin der ganze Erlös zur Finanzierung der Rente verwendet oder sollte nicht zumindest ein Teil gezielt in den ökologischen Umbau investiert werden?

Jänicke: Es ist sicherlich nicht hilfreich, immer wieder von neuem Systemfragen aufzuwerfen. Die diesem Steuermodell zugrunde liegende Überzeugung, dass der Faktor Arbeit zu entlasten, der Faktor Energieverbrauch aber zu verteuern ist, bleibt sinnvoll. Jetzt etwa wieder auf eine klassische Subventionierung umzuschwenken, hielte ich für einen eindeutigen Nachteil. Schon aus Gründen der politischen Didaktik würde ich am jetzigen System festhalten.

„Umweltpolitik hat viele Probleme, aber die Globalisierung ist keines davon“

HK: Lange setzte man in der Umweltpolitik auf Ge- und Verbote. In jüngster Zeit gewinnen immer mehr so genannte freiwillige Selbstverpflichtungen an Bedeutung, und mit der Ökosteuer gibt es nun eine weitere ökologische Steuerungsoption. In welchem Verhältnis stehen die verschiedenen umweltpolitischen Instrumentarien zueinander?

Jänicke: In mancher Hinsicht ist auch die Ökosteuer ein klassisches, kein so genanntes weiches Instrument wie etwa die freiwilligen Vereinbarungen. In Dänemark beispielsweise erhält die Industrie Steuerentlastungen, wenn freiwillige Vereinbarungen getroffen werden – ein Spiel also mit einem weicheren und einem autoritativeren Instrument. Grundsätzlich haben wir aber in der Umweltpolitik einen Wandel hin zu einer Mischung der Instrumente, zu einer Multi-Impuls-Strategie. Das heißt, es wird nicht ein Instrument bis zum Anschlag ausgereizt, wie es neoklassische Modelle vorsehen, die aber politisch nicht umsetzbar sind. Wenn viele Signale in die gleiche Richtung gesetzt werden, muss jedes einzelne von ihnen nicht besonders stark sein. Dabei stehen in der Umweltpolitik wieder mehr und mehr die Ziele im Vordergrund, die Frage nach Instrumenten und Umsetzung wird eher sekundär. Dem skandinavischen und niederländischen Beispiel folgend, scheinen sich nun in ganz Europa zielorientierte Ansätze durchzusetzen. Es wird insgesamt weniger über Maßnahmen geredet, nicht darüber, was man gemacht hat, sondern darüber, was man erreicht hat und erreichen will.

HK: Wo liegen die besonderen Vorteile einer solchen zielorientierten Politik?

Jänicke: Für Innovateure ist es beispielsweise die bessere Kalkulierbarkeit. Das Risiko, in fünf Jahren ein neues Produkt auf den Markt zu bringen ist geringer, wenn ich weiß, in dieser Zeit muss ein bestimmter Stoff vom Markt genommen sein. Ein weiterer Aspekt einer modernen Umweltpolitik ist, dass man heute nicht nur darauf achtet, ob man richtig oder falsch handelt, sondern auch darauf, ob überhaupt gehandelt werden kann. Die Kapazitätsfrage ist seit der Weltumweltkonferenz in Rio 1992 zur entscheidenden Frage geworden. Dies lässt sich am Beispiel der erneuerbaren Energien für Deutschland besonders gut zeigen. Das Gesetz wurde getragen von einer neuen strategischen Allianz, die vom Verband der Maschinenbauindustrie über die Solarenergieindustrie, den Bauernverband und die IG-Metall bis zu den Umweltverbänden reichte. Auch im Parlament entstand ein parteiübergreifendes Bündnis. In der Umweltpolitik muss sehr viel mehr darüber nachgedacht werden, wie ihre Handlungsfähigkeit verbessert werden kann. So kann beispielsweise auch die systematische Integration von Umweltbelangen in andere politische Ressorts die Handlungskapazitäten verbessern.

HK: Im internationalen Vergleich gilt Deutschland nach wir vor als Ökomusterland. Mit über 15 Prozent CO2-Reduktion seit 1990 stehen wir beispielsweise in punkto CO2-Emissionen-Reduzierung weltweit an der Spitze. Welche Gefahren drohen den hier mühsam errungenen Umweltstandards durch eine fortschreitende Internationalisierung der Umweltpolitik, durch den Globalisierungsprozess im allgemeinen?

Jänicke: Dazu sind wir mit unseren Forschungen hier in Berlin zu überraschenden Ergebnissen gekommen. Umweltpolitik und Umweltschutz profitieren eher von der Globalisierung, die gemeinhin immer als Gefährdung des Nationalstaates und seiner Handlungsmöglichkeiten betrachtet wird. Heute ist es nicht nur möglich, entschieden Vorreiter-Politik zu machen. Im Zeitalter der Globalisierung zeigt sich zusätzlich, dass solche Vorreiter-Politik eine hohe Bedeutung hat für die globale Umweltpolitik überhaupt. Sogar kleine Länder können nun global einen wirklich starken Einfluss haben. Länder wie Holland, Schweden oder Dänemark führen heute politische Neuerungen ein, die dann beispielsweise auf der UN-Umweltkonferenz in Rio zum Modell erklärt, plötzlich verbindlich für alle anderen werden. Wenn wir heute über 150 Umweltministerien auf der ganzen Welt zählen, ist dies auch ein Effekt von Globalisierung der Umweltpolitik. Die Umweltpolitik hat viele Probleme, aber die Globalisierung ist keines davon. Das Entstehen einer globalen Arena für Politik hat dazu geführt, dass es einen politischen Wettbewerb gibt. Und in unseren Studien zur Umweltpolitik der Industrieländer haben wir nicht ein einziges Land gefunden, das Probleme mit einer umweltpolitischen Vorreiterrolle hatte. Denn dies bedeutet, dass man im eigenen Land Innovationen zuwege bringt, die dann von anderen übernommen werden müssen. Vorreiterländer verfügen dagegen über den Vorteil, dass sie in der weiteren Entwicklung die Karten mischen und geben.

HK: Ist die in der umweltpolitischen Auseinandersetzung immer wieder erhobene Warnung vor nationalen Alleingängen demnach nicht mehr als ein wohlfeiles Totschlagargument?

Jänicke: Falsch an diesem Argument ist, dass übersehen wird, wie sehr hochentwickelte Industrieländer innovativ sein müssen, um im Innovationswettbewerb immer neue Angebote machen zu können; die Umweltfrage ist heute mit dem technischen Fortschritt sehr viel stärker verbunden als früher. Der Innovationswettbewerb, den die Umweltfrage nicht erfunden hat, hat für die globale Umweltpolitik eine enorme Bedeutung gewonnen.

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