Es gibt derzeit nur wenig Themen, die so heftig diskutiert werden wie die wissenschaftlichen Erfolge auf dem Feld der Biomedizin. Erst recht kontrovers wird die Debatte, wenn es um die möglichen Anwendungen, gesellschaftlichen Konsequenzen und quasi-religiösen Verheißungen geht, die sich aus dem wissenschaftlichen Kenntnisstand ergeben. Realistisch betrachtet kann die Frage dabei eigentlich nur heißen, wie fundamental sich unser individuelles, gesellschaftliches und kulturelles Leben verändern wird. Aber: Welche Entwicklungen sind zwangsläufig, welche sollten beschleunigt und welche verhindert werden? Seit langem schon gibt es in Kirche und Theologie eine Meinungsbildung wie auch entsprechende Stellungnahmen und Positionspapiere (vgl. HK, Januar 2001, 12 ff.). Trotzdem werden die Kirchen wie die Theologen natürlich auch in der aktuellen Diskussion meist beiläufig, zuweilen aber auch ganz direkt angefragt, ihr Gewicht in die Schale zu werfen.
Beim skurrilen Wettlauf zwischen den Bischöfen und den katholischen Laien, wer sein Papier zu aktuellen politischen Themen zuerst veröffentlicht, hatte diesmal das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) die Nase vorn, genauer gesagt: dessen kulturpolitischer Arbeitskreis. Am 1. März wurde in Berlin unter dem Titel „Der biomedizinische Fortschritt als Herausforderung für das christliche Menschenbild“ ein Text vorgestellt, in dem neben gesetzlichen Regelungen zum besseren Schutz der Menschenwürde eine intensivere innerkirchliche wie auch gesellschaftliche Diskussion der Forschung jenseits der Frage nach ökonomischer Rentabilität angemahnt wird. Wohl wissend um den „Druck auf die Politiker, die strengen deutschen Standards zu nivellieren“, wird eine Überarbeitung des deutschen Embryonenschutzgesetzes beziehungsweise die Erarbeitung eines neuen Fortpflanzungsmedizingesetzes gefordert. Forschungs- wie Bildungspolitik müssten zudem die ethische Reflexion stärker fördern. Theologie und Philosophie werden im Gegenzug darauf verpflichtet, die neuen Fragestellungen der naturwissenschaftlichen Forschung und Technik stärker aufzugreifen: „Eine Ethik, die den Einsichten der Naturwissenschaften nicht standhält, ist unbrauchbar“, heißt es genauso apodiktisch wie zutreffend. Die Geschichte zeige, dass auch wichtige Tabus ohne eine ausreichende Begründung nicht zu halten seien.
Die Bischöfe wollten da im gerade begonnenen „Jahr der Lebenswissenschaften“ offenbar nicht nachstehen. Auch sie rechnen nüchtern damit, dass die aktuellen und die noch ausstehenden Forschungserfolge „an den Grundwerten unserer Gesellschaft rütteln“ werden. Und obwohl sie sich ursprünglich auf ihrer Vollversammlung vom 5. bis 8. März in Augsburg nur eine erste Lesung eines Dokuments zu Fragen von Gentechnik und Biomedizin vorgenommen hatten, haben sie es – offenbar um den Kairos nicht zu verpassen – bereits beschlossen. Im Anschluss an das Zusammentreffen wurde der Text „Der Mensch: sein eigener Schöpfer?“ präsentiert. Beiden Papieren ist gemeinsam, dass sie zwischen ungebremster Fortschrittsbegeisterung und fundamentalistischer Totalverweigerung einen Weg finden wollen, der das gentechnisch Mögliche zum Wohl des Menschen nutzt, ohne bei der Wahl der Mittel einzig auf den Zweck und die vermeintlich guten Folgen zu sehen. Maßstab ist hier wie da das christliche Menschenverständnis, das jeweils knapp durchbuchstabiert, aber auch mit dem Hinweis versehen wird, dass die Menschenwürde auch von nichttheologischen Argumenten hergeleitet werden kann und so auch außerhalb der Kirche als Begründung taugt. So wie der Mensch mehr als die Summe seiner Gene sei, müssten grundsätzlich innerhalb der Lebenswissenschaften auch die Beiträge von Religion, Anthropologie, Kulturwissenschaft, Philosophie und Ethik um eines besseren Verständnisses des Lebens willen mit berücksichtigt werden, fordern die Bischöfe.
Im Unterschied zum „Diskussionsanstoß“ der Laien gehen sie jedoch auch ins Detail und werben etwa unter den Zwischenüberschriften Genetische Diagnostik, Gentherapie, Klonen, Arzneimittel für ihre jeweilige Position, die bekanntermaßen von der Unterstützung für die Erforschung gentechnisch hergestellter Medikamente bis zur Ablehnung des „therapeutischen Klonens“ und der Präimplantationsdiagnostik reicht. Auch bei den Bischöfen steht am Ende der Appell, dass der Bundestag in diesem Sinne gesetzgeberisch tätig werden möge.
Trotz dieses unterschiedlichen Ansatzes bündeln beide Wortmeldungen die christliche Überzeugung, dass gen-etische Forschung ohne gen-ethische Reflexion auf die genaue Grenzziehung zum Schutz der Menschenwürde immer in der Gefahr steht, so die Formulierung der Bischöfe, „Machbarkeitsund Erlösungsphantasien“ zu erliegen. Der Diskussion können diese Warnungen zur Nüchternheit nur gut tun.